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Polarfieber (German Edition)

Polarfieber (German Edition)

Titel: Polarfieber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Henry
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ich mir noch gar nicht darüber im Klaren bin, worauf sich die Anschuldigungen stützen, behalte ich Ihr Angebot im Hinterkopf.“ Seine Antwort war viel glatter, als er sich fühlte.
    Die grönländische Regierung hatte ein Konferenzzimmer im Ministerialgebäude für die Anhörung zur Verfügung gestellt. Nach weniger als einer Stunde zitterten Silas die Hände, das Brennen seiner Augen ließ sich nicht länger ignorieren. Was die Briten ihm anhand von Overhead Projektor und zahllosen ballistischen Untersuchungsergebnissen präsentierten, trieb ihm die Luft mit solchem Nachdruck aus den Lungen, dass ihm schwindlig wurde. Ihre Beweise waren eindeutig.
    Die Kugel, die Dylan McKerricks Lebenslicht ausgeblasen hatte, war aus dem AK47 abgefeuert worden, das an jenem Tag – und danach nie wieder – in Silas’ Händen gelegen hatte. Demnach hatte er Dylan erschossen. Seine Stimme versagte. Wie konnte er sich verteidigen? Warum sollte er es tun?
    „Es handelte sich um ein von Jeremy Sinclair angeordnetes Massaker an der Zivilbevölkerung.“ Zum ersten Mal machte der uniformierte Begleiter der dänischen Zivilistin den Mund auf. „Die Kugel war ein Querschläger. Silas Greve und Dylan McKerrick waren Freunde. Sie haben überhaupt keine Veranlassung, Silas Greve eines Mordes zu beschuldigen.“
    „Querschläger sehen anders aus.“ Der Mann am Projektor schaltete das Gerät ab. Silas war ihm beinahe dankbar dafür. „Es war ein gezielter Schuss. Wir akzeptieren, dass Silas Greve diesen Schuss abgab, weil ihm die wahren Hintergründe des Einsatzes klar wurden und er verhindern wollte, was dort geschah, als Dylan McKerrick sich auf die Seite des mittlerweile verurteilen Kriegsverbrechers Sinclair schlug. Deshalb war es ein gezielter Schuss und deshalb war es Mord.“
    Silas blickte dem Dozierenden in die wasserblauen Augen. „Wer?“, fragte er mühselig.
    „Wie bitte?“
    „Wer hat die Anklage ins Rollen gebracht?“
    Nicht Dylans Eltern. Nicht diese einstmals so stolzen Menschen, die er am Grab ihres einzigen Sohnes so fest umarmt hatte wie vorher niemals jemanden und seither nur … Kaya. Das konnte er nicht glauben.
    „Wir untersuchen routinemäßig die Todesfälle in Afghanistan nach neuen Erkenntnissen.“
    „Dylan ist bei einem Massaker ums Leben gekommen, das ein ganzes Dorf auslöschte. Das ist mehr als fünf Jahre her. Sie haben die Beweise erbracht, und ich akzeptiere, dass … dass ich ihn getötet habe. Aber nicht mit Absicht. McKerrick war mein Freund. Ich wäre …“ Adrenalin schoss ihm in die Beine, und er sprang so unvermittelt von seinem Stuhl auf, dass die beiden, die ihn zuerst verhaftet hatten, hinzusprangen und ihn packten. „Ich wäre für den Mann gestorben, Sie Irrer!“, brüllte Silas, er spürte, wie sein Inneres zerfiel und er die Fassung verlor.

12
     
    Die Blässe steht ihr nicht, dachte Marc. Sie braucht Blut in den Wangen. Aufregung, Begeisterung. Blässe macht ihr Gesicht grau. Kayas Lippen zitterten nicht. Sie stand stocksteif, die Augen auf einen Punkt in der Ferne gerichtet. Sie blinzelte nicht einmal, und er fragte sich unwillkürlich, ob sie genau so ausgesehen hatte, als man ihr die Nachricht vom Tod ihres Mannes gebracht hatte. Er hatte Kaya erst kennengelernt, als sie schon Witwe war. Die Wissenschaftlerin, die nach Qaanaaq kam, eine Workaholic, die ihr Leben mehr als einmal aufs Spiel gesetzt hatte für die Dinge, die ihr am Herzen lagen. Viele hielten sie für verrückt. Manche von den Alten meinten, sie solle sich einen neuen Mann suchen, der würde ihr die dummen Gedanken schon austreiben. Marc hatte sich vorschnelle Urteile abgewöhnt, seit er mit Nive verheiratet war. Er wusste nichts über Kaya, und er weigerte sich, sie abzukanzeln für das, was ihr wichtig schien.
    In den vergangenen Wochen hatte er mehr über Silas herausgefunden, als dieser in den drei Jahren ihrer Bekanntschaft und später Freundschaft jemals preisgegeben hatte. Schockierende Erkenntnisse, sicher. Aber er hatte diesen Mann so gut kennengelernt, dass er sich weigerte, ihn für seine Vergangenheit zu verurteilen. Er würde auch nicht zulassen, dass Kaya das machte.
    Er sah, wie etwas in ihr zerbrach, erkannte es in ihrem Gesicht, in den schönen dunkelbraunen Augen. Kaya, die geglaubt hatte, dass sie den Rest ihres Lebens als Witwe verbringen würde. Die es gewagt hatte, noch einmal über den Tellerrand zu schauen und noch einmal zu träumen. Diese Träume schienen an den Rändern zu brechen.

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