Polaris
»Kommen Sie allein.«
»Warum? Wollen Sie noch einmal versuchen, mich umzubringen?«
»Das war ich nicht.«
»Es war Ihre Freundin Barber. Was macht das für einen Unterschied?«
»Bitte«, sagte er.
Ich ließ ihn warten, während ich meinem eigenen Herzschlag lauschte. »Also gut«, sagte ich dann.
»Chase, wenn jemand bei Ihnen ist, werde ich verschwinden.«
»Wo treffen wir uns?«
Er dachte einen Moment nach. »In der Lobby des Barkley Manor. In einer Stunde.«
Ich weiß nicht, welchen Eindruck ich auf die Leute mache, aber ich stelle mir nicht gern vor, es wäre der eines Trottels. »Nein«, sagte ich. »Ich werde am Fuß des Silberturms auf Sie warten. In vierzig Minuten. Ich warte fünf Minuten. Dann bin ich weg.«
»Ich glaube nicht, dass ich es bis dahin in vierzig Minuten schaffen kann.«
»Tun Sie Ihr Bestes.«
Andiquar ist der Regierungssitz der Konföderation, und die Halle des Volkes ist das sichtbare Symbol seiner Existenz. Es ist ein beeindruckendes, ausgedehntes Marmorbauwerk, vier Stockwerke hoch, grob einen halben Kilometer lang. Bei Nacht wird es in sanftes blaues Licht getaucht. Die Flaggen und Banner der konföderierten Welten flattern an der Fassade im Wind, der vom Meer hereinweht, und Tausende von Besuchern finden sich jeden Tag ein, um das Gebäude zu bestaunen und Bilder zu machen. Bei Nacht zog das schillernde Lichterspiel sogar noch mehr Leute an.
Der Rat trat hier zusammen; die ministerialen Büros sind symbolträchtig in den unteren Stockwerken untergebracht, und der Regierungsrat versammelte sich im Ostflügel. Eine ganze Reihe von Springbrunnen versorgte den Weißen Teich mit Wasser, der sich auf ganzer Länge an dem Gebäude entlangzog.
Das Archiv, in dem die Staatsverfassung, der Einigungsvertrag und die übrigen Gründungsdokumente lagerten, befindet sich gleich neben dem Obersten Gerichtshof. Am gegenüberliegenden Ende des Weißen Teichs steht der Silberturm der Konföderation. Bei Tag können Besucher den Turm betreten und mit dem Fahrstuhl nach oben fahren. Dort führt ein Balkon um die ganze Turmspitze herum. An diesem Ort herrscht zu beinahe jeder Tageszeit ein reger Besucherandrang – was auch der Grund dafür war, warum ich diesen Ort ausgewählt hatte.
Ich rief Fenn an. Er war nicht im Büro. Zu Hause. Ich hatte den Code für seine Wohnung, aber er wäre so oder so nicht imstande, rechtzeitig zum Turm zu kommen; also hinterließ ich eine Nachricht für Alex, schnappte mir meinen Scrambler, verstaute ihn in der Jacke, sprang in meinen Gleiter – der einzige, der uns geblieben war – und machte mich auf den Weg. Dann wollte ich erneut Fenn anrufen, zögerte aber. Er würde womöglich einen seiner Kollegen schicken, und der könnte Kiernan zur Flucht veranlassen.
In einer Menschenmenge am Boden sollte ich einigermaßen sicher sein. Und sollte er ein abgekartetes Spiel geplant haben, dann hatte ich ihm die Karten aus der Hand genommen.
Es fing an zu schneien, als ich mich vom Landhaus entfernte; aber in Richtung Innenstadt herrschte nur wenig Verkehr, und ich kam gut voran. Als ich den Gleiter auf einer der Landeplattformen des Regierungsgebäudes abstellte, blieben mir noch zehn Minuten, um zum Turm zu gelangen.
Ich schlug mit der flachen Hand auf meine Jacke, spürte die beruhigende Beule. Ich wünschte, ich hätte etwas potentiell Tödliches bei mir, aber man kriegt keine ernsthafte Waffe in die Finger, ohne zuvor einen bürokratischen Papierkrieg durchzustehen. Und sollte es tatsächlich so weit kommen, würde der Scrambler ihm auch die Lichter ausblasen, und das reichte vollkommen.
Falls es Sie interessiert, ich war qualifiziert, eine Waffe zu tragen. Ich war nicht gerade Expertin auf dem Gebiet, aber in der Zeit, in der ich noch als Vollzeitpilotin gearbeitet hatte, hatte ich Orte besucht, die man unbewaffnet besser nicht aufsucht.
Es hatte beinahe aufgehört zu schneien. Noch war nicht genug Schnee gefallen, um liegen zu bleiben, aber es sah aus, als würde da noch mehr kommen.
Die Landeplattformen waren auf dem Dach des Archivs untergebracht. Man fährt mit dem Fahrstuhl nach unten und kommt an einer der Rampen zum Platz der Konföderation heraus, ganz in der Nähe der Statue von Tarien Sim. Die Reihen der Touristen lichteten sich langsam. Die meisten gingen zum Essen; ein paar andere wollten lediglich dem Wetter entkommen. Ich hastete am Rand des Weißen Teichs entlang zum Turm.
Als ich dort eintraf, war er bereits geschlossen, doch vor dem
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