Polaris
musste etwa bei dreihundert liegen. Die Gespräche der einzelnen Gruppen vereinten sich zu einem konstanten Rauschen, das von dem Klirren von Tafelsilber und Glas begleitet wurde, und ich nahm den Geruch von Limonen und Kirschen in der Luft wahr.
Ein Klingeln ertönte, und eine stämmige Frau in mittleren Jahren, die in der Mitte des T-Strichs saß, erhob sich und wartete darauf, dass Stille einkehrte. Als sich die allgemeine Aufmerksamkeit schließlich auf sie konzentrierte, hieß sie die Gäste willkommen, erzählte ihnen, wie sehr sie sich über die rege Beteiligung freue und bat die Sekretärin der Organisation, das Protokoll der letzten Zusammenkunft zu verlesen.
Alex beugte sich zu mir herüber. »Das müssen wir nicht sehen«, sagte er. Sprecherin und Gäste beschleunigten und verschwammen vor meinen Augen. Ein paarmal hielt Alex an und schüttelte den Kopf, bis er endlich die Stelle erreicht hatte, die er suchte.
»… Hauptredner des Abends«, sagte die stämmige Frau soeben. »Professor Warren Mendoza.«
»Das ist das Jahr 1355«, verkündete Alex, während im Speisesaal Applaus laut wurde.
»Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.« Ein relativ junger, schlanker Mendoza erhob sich und nahm seinen Platz hinter dem Rednerpult ein. Die Polaris war noch zehn Jahre weit weg. »Es ist mir eine Freude, heute Abend bei Ihnen zu sein. Ich möchte Dr. Halverson für die Einladung danken, und Ihnen, meine Damen und Herren, für den herzlichen Empfang.
Ich werde kein Blatt vor den Mund nehmen. Ich möchte, dass Sie wissen, dass Sie meine volle Unterstützung haben. Es gibt heutzutage keine wichtigere Aufgabe, als die Stabilisierung der Bevölkerungszahlen.«
»Das ist die Gesellschaft ›Weiße Uhr‹«, erklärte Alex leise.
So weiß wie Knochen, dachte ich. Und sie tickte und tickte. Sie zählte die Zeit ab, bis Rimways Bevölkerung die Ressourcen in einem Maß überlastete, das zu einem Massensterben führen musste. Ihr Slogan stand hinter Mendoza an der Wand.
WIR KÖNNEN, ODER DIE NATUR WIRD.
»Wenn es uns nicht gelingt, den Leuten klar zu machen, dass es ein Problem gibt«, sagte Mendoza gerade, »dann werden wir nie eine Lösung finden können. Trotz all unserer Technologie gibt es hungernde Kinder auf der Erde, von Krankheit gezeichnete Erwachsene auf Cordelet, ökonomische Lageveränderungen auf Moresby. Während der letzten zehn Jahre mussten Angehörige der Konföderation buchstäblich Dutzende von Revolten und acht verheerende Bürgerkriege erdulden. Alle ließen sich, direkt oder indirekt, auf den Mangel an Ressourcen zurückführen. Anderenorts entwickelt sich die Ökonomie nach ihrem üblichen Zyklus, nimmt den Reichtum aller und treibt viele in die Verarmung. So hätte es nicht sein sollen.«
»Höre ich recht? Das ist doch der Kerl, der versucht hat, die Lebensspanne zu verlängern.«
»Nein«, widersprach Alex. »Das war Dunninger.«
»Aber Mendoza hat ihm geholfen.« Ich sah Alex an. »Oder nicht?«
»Da staunst du, was?«
Mendoza redete fünfundzwanzig Minuten lang. Er benutzte keine Notizen, und er sprach leidenschaftlich und voller Überzeugung. Als es vorbei war, kassierte er stehende Ovationen.
Ich habe mir nie Sorgen wegen einer möglichen Überbevölkerung gemacht, aber ich hätte mich dem allgemeinen Jubel am liebsten angeschlossen. Er war gut.
Alex beendete das Programm und griff nach einem Ordner. »Hier ist noch etwas Interessantes. Ich habe mir Taliaferros Karriere angesehen.«
»Was hast du entdeckt?«
Er schlug den Ordner auf. »Im Jahr 1366, ein Jahr nach dem Vorfall auf der Polaris, hat er sich das Projekt Sonnenschein einfallen lassen und es mit aller Kraft vorangetrieben.«
»Und das war was?«
»Beschleunigte Ausbildungsmöglichkeiten für ausgesuchte Studenten. Er hat das Projekt in Gang gebracht, aber später hat es sich von der Vermessung gelöst und ist direkt aus der Staatskasse finanziert worden.«
»Warum ist das wichtig?«
»Weil daraus das Morton College geworden ist.«
Als ich an diesem Nachmittag etwas Zeit erübrigen konnte, bat ich Jacob, mir die Aufnahme von der Tagung noch einmal zu zeigen. Alex erklärte mir, ich sei besessen von der Polaris. Der musste gerade reden.
Ich wollte die Aufzeichnung noch einmal sehen, weil ich mir überlegt hatte, dass, wenn Bellingham/Kiernan dort gewesen war, vielleicht auch Teri Barber die Veranstaltung besucht hatte. Das bedeutete auch, dass ich mir dieses Mal alles ansehen musste, nicht nur die
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