Polaris
einer Katastrophe hätte kommen können.
Alex wollte hören, wie Dunninger reagiert hatte, als er die Neuigkeit vernommen hatte, doch seine Reaktion war nie in die öffentlichen Netze eingespeist worden. Wir wühlten ein bisschen weiter und stellten fest, dass seine Reaktion auf das Unglück im Archiv der Umweltbehörde zu finden war. Aber um dort hineinzugelangen, mussten wir einen Antrag stellen und unser Anliegen begründen. »Wir sollten morgen dort vorbeischauen«, sagte Alex, »und uns die Akten ansehen.«
»Okay«, entgegnete ich.
»Danach können wir essen gehen.« Alex liebte es, zum Essen auszugehen.
Die Umweltbehörde hat ihren Sitz am Rand eines Naturschutzgebiets mit Namen Cobbler Green, etwa zehn Kilometer südwestlich von Andiquar. Das ist eine ruhige Gegend, die bei Tag gern von jungen Müttern frequentiert wird und am Abend Liebespaare anlockt. Zobelbäume, blühende Sträucher, kunstvoll angelegte Bachläufe und gewundene Spazierwege, traditionelle und virtuelle Statuen. Das Gebäude selbst entspricht dem Geist seiner Umgebung, ein ungekünsteltes zweistöckiges Bauwerk, das von Weinranken überwuchert ist.
Wir gingen in die Empfangshalle, die von einem Autoprozessor beaufsichtigt wurde. »Guten Morgen«, sagte er mit geschlechtsneutraler Stimme. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
Alex erklärte, dass wir die Aufzeichnung von der Polaris sehen wollten, in der Dunningers Reaktion auf die Nachricht von der Zerstörung seines Labors festgehalten worden war. »Dreizehn-fünfundsechzig«, fügte er hinzu.
»Aber gern«, sagte der Autoprozessor. »Eine entsprechende Archivdatei ist vorhanden. Die Antragsformulare werden nun angezeigt. Bitte benutzen Sie die vorgesehenen Stirnbänder.«
Wir setzten uns an einen Tisch, legten die Stirnbänder an und die Antragsformulare erschienen. Jeder von uns füllte eines aus, verwies zum Zweck der Begründung auf antiquarische Hintergrundinformationen (was auch immer das sein mochte). Wenige Minuten später wurden wir in eine Kabine geführt. Ein gelangweilt aussehender Mann in einer Forstamtsuniform tauchte auf und stellte sich als Chagal oder Chackal oder so was in der Art vor. Er führte uns zu einem Monitor, forderte uns auf, ihn zu rufen, falls wir Hilfe brauchten, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand. Ein Bedienfeld wurde aktiviert, und der Bildschirm erwachte zum Leben.
Uns lagen einige Zahlen und eine Markierung vor, mit deren Hilfe wir Datum und Zeitpunkt der gesuchten Kommunikation ermitteln konnten. Vierter Tag des Flugs, 1365, nur audio. Wir lauschten, wie ein Kommunikationsoffizier einer Station die Polaris, im Speziellen Dr. Dunninger, über das Feuer informierte, welches das Epstein-Institut zerstört hatte. »Derzeit«, sagte der Offizier, »deuten alle Berichte auf eine vollständige Zerstörung der Einrichtung hin. Man geht davon aus, dass, abgesehen von den Gebäuden selbst, nichts das Feuer überstanden hat, und selbst die sind schwer beschädigt. Das gilt unglücklicherweise auch für die KI.«
Die Antwort erfolgte zwei Tage später. Mit Madeleines Stimme: »Skydeck, die Nachricht über das Feuer wurde wie gewünscht weitergereicht. Sollte es irgendwelche neuen Informationen geben, halten Sie uns bitte auf dem Laufenden. « Dann meldete sie sich ab.
»Das ist alles?«, fragte ich.
Alex schnaubte. »Verdammt.«
»Ich dachte, er würde sich persönlich melden und eine detailliertere Berichterstattung verlangen. Wissen wollen, ob irgendetwas übrig ist. So was in der Art.«
»Offensichtlich nicht. Andererseits sagt vollständige Zerstörung eigentlich auch schon genug.« Wir erhoben uns und gingen in Richtung Tür.
»Und was jetzt?«, fragte ich.
»Wie weit ist Epstein von hier?«
Das Epstein-Institut hatte in West Chibong im Nordland gelegen. Wir buchten einen Flug, reisten noch an diesem Abend ab und trafen kurz nach Mitternacht in Wahiri Central ein. Keine gute Planung. Wir meldeten uns in einem Hotel an und machten uns am nächsten Morgen in einem Taxi auf den Weg.
West Chibong ist genauso, wie es sich anhört: isoliert und abgelegen, einer jener Orte, an denen es, hat man die Stadtgrenze erst einmal hinter sich gelassen, über hundert Kilometer in jede Richtung schlicht gar nichts gibt außer Bergen und Wald. Der Big River strömte durch das Gebiet und versorgte es, den Einheimischen zufolge, großzügig mit Fischen, und natürlich lagen auch die Wainwright Falls in dieser Gegend.
Alex wies das Taxi an, zum
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