Polaris
ein Bergungsschiff ein, das die Polaris nach Hause zurückbrachte. Als auch eine intensive Untersuchung keine Erklärung zutage förderte, mottete die Vermessung sie für mögliche spätere Untersuchungen ein. Im Jahr 1368 wurde das Schiff an die Evergreen Foundation verkauft und auf den neuen Namen Sheila Clermo umgetauft.
Ich sprach mit Sabol Kassem, der eine Studie über diesen Fall angefertigt hatte. Kassem arbeitete an der Traeger University auf den Sunrise Inseln. Er hatte seine Doktorarbeit über die Polaris geschrieben.
»Den Archiven zufolge«, erklärte er mir, »haben sich die Leute an Bord der Clermo ›unwohl‹ gefühlt. Nicht gut geschlafen. Stimmen gehört. Es gab Berichte über elektronische Effekte, beinahe als wären Madeleine English und ihre Passagiere irgendwo in den Kontrollsystemen gefangen. Marion Horn war auf dem Schiff, als er gerade dabei war, sich einen Ruf als Architekt zu machen, und er schwor, er hätte das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden. ›Von etwas, das leidet.‹ Und er hat hinzugefügt: ›Ich weiß, wie sich das anhört.‹« Kassem saß auf einer Bank vor einer Marmorfassade, in der die Worte WAHRHEIT, WEISHEIT, LEIDENSCHAFT eingemeißelt waren. Er machte einen amüsierten Eindruck. »Die berühmteste – oder haarsträubendste – Behauptung, verdanken wir Evert Cloud, einem genialen Absatzstrategen, der zu den wichtigsten Kapitalgebern von Evergreen gehörte. Cloud behauptete, er hätte ein Trugbild von Chek Boland neben der Landefähre stehen sehen. Nach Clouds Angaben hat das Gespenst ihn angefleht, ihm zur Flucht von der Polaris zu verhelfen.«
Als er Alex all das berichtete, war er entzückt. »Großartige Geschichte«, sagte er. »Sie wird den Wert der Artefakte nur noch mehr steigern.«
Sheila Clermo war übrigens die Tochter von McKinley Clermo, der über lange Zeit richtungsweisenden Macht im Hintergrund der Umweltbemühungen von Evergreen. Sie starb mit vierzehn bei einem Skiunfall.
Jacob stellte einen bebilderten Lebenslauf von Maddy Englishzusammen. Hier war Madeleine im Alter von sechs Jahren mit Eis und Dreirad. Und mit dreizehn, wie sie mit ihrer achten Klasse im Eingangsportal ihrer Schule stand. Erster Freund.Erstes Paar Skier. Maddy mit achtzehn, wie sie, offenbar bei einem Turnier, Schach spielte. Jacob entdeckte sogar ein Bruchstück einer Aufnahme von Desperado, worin sie, während der Highschool, Tabitha gespielt hatte, die, ach, zu sehr geliebt hatte.
Er zeigte mir Maddy in der Flugschule. Und in Ko-Li, wo sie sich für die Überlichtflüge qualifiziert hatte. Es gab Dutzende Bilder von ihrer Abschlussfeier, auf der sie voller Stolz neben ihren Eltern stand (und genauso aussah wie ihre Mutter), gemeinsam mit anderen Absolventen feierte und ihren Blick vor dem letzten Abflug über das Trainingszentrum schweifen ließ.
Ich kannte den Drill verdammt gut. Ich hatte Ko-Li selbst über mich ergehen lassen, und wenn sich die Einrichtung während der über siebzig Jahre, die seit Maddys Ausbildung vergangen waren, auch weiterentwickelt hatte, so ist sie doch in manch bedeutender Hinsicht unverändert geblieben. Das ist der Ort, an dem man sich erproben und erkennen kann, wozu man fähig ist und wozu nicht.
Seit meiner Ausbildung waren fünfzehn Jahre vergangen, und ich hatte ständig gemeckert, während ich dort war. Zwei Drittel meiner Klasse waren durchgefallen. Das ist, soweit ich erfahren habe, Durchschnitt. Die Ausbilder konnten unausstehlich sein. Dennoch hat meine Zeit an diesem Ort Standards für mich gesetzt, dafür, was ich von mir selbst zu erwarten hatte.
Ich weiß nicht recht, ob das einen Sinn ergibt, aber hätte ich Ko-Li nicht abgeschlossen, dann wäre ich ein anderer Mensch.
Ich vermute, Maddy war es ähnlich ergangen.
Es gab ein Bild, das sie in Ko-Li zusammen mit einem Mann in mittleren Jahren zeigte. Sie standen vor der Pasquale-Halle, in der die meisten Simulationen durchgeführt wurden.
»Als Heranwachsende«, sagte Jacob, »war sie recht problematisch. Sie hat die Schule gehasst, war rebellisch, ist mehrere Male davongelaufen und hat sich mit den falschen Leuten eingelassen. Sie wurde mehrfach unter Arrest gestellt, und ihre Eltern wussten nichts mit ihr anzufangen. Urquhart lernte sie bei einem Besuch in einer Besserungsanstalt für Jugendliche kennen. Man hatte zu diesem Zeitpunkt bereits über eine partielle Persönlichkeitsrekonstruktion nachgedacht. Urquhart jedoch hatte mehr in ihr gesehen und die zuständigen
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