Polaris
Büro.
Das Haus war früher mal ein Landgasthaus gewesen, ein einsames Gebäude auf dem Gipfel einer kleinen Anhöhe, das Jäger und Reisende versorgt hatte, bis Alex’ Onkel Gabe es gekauft und renoviert hatte. Alex hatte den größten Teil seiner Kindheit in diesem Haus verbracht. In jener Zeit war es von Wald umgeben gewesen. Gleich an der Nordwestgrenze des Grundstücks gab es einen alten Friedhof. Die Grabmale und Statuen waren über die Jahrhunderte hinweg glatt geschliffen worden. Altere Jungs hatten Alex damals erzählt, die Bewohner des Friedhofs würden des Nachts auf Wanderschaft gehen. »Es hat Abende gegeben«, hat er mir einmal erzählt, »an denen ich mich hinter dem Sofa versteckt habe, wenn ich allein im Haus war.« Das hörte sich gar nicht nach dem Alex an, den ich kannte.
Gabe hatte einen langen und am Ende vergeblichen Kampf gegen die Bebauung der Umgebung geführt. Er war in diesem Punkt ein wenig fanatisch gewesen, und er wäre angesichts des Übermaßes an Nachbarn, die sich im Laufe der Zeit um das Haus herum angesammelt hatten, ganz sicher nicht erfreut gewesen. Ebenso wenig wie über den Verlust großer Teile des Waldes.
Es war ein prachtvolles Haus, vier Stockwerke und ein Haufen Fenster, die auf den Melony hinausblickten. Möbliert im zurückhaltenden Stil des vergangenen Jahrhunderts. Unzählige Zimmer, einige ausgestattet mit einem Virtual-Reality-System, ein anderes mit Fitnessgeräten und wieder ein anderes mit einem debattiergeeigneten Besprechungstisch. Und ein weiteres Zimmer diente dazu, einfach nur dazusitzen und dem Fluss beim Fließen zuzusehen. Manche Räume wurden für Besucher bereitgehalten und andere als Lagerräume für die Artefakte aus anderen Zivilisationen missbraucht, die Gabe von seinen Reisen mitgebracht hatte.
Das Haus passte absolut nicht zu den Gebäuden in der Nachbarschaft, die samt und sonders modern, glatt und nüchtern waren. Kein Platz wurde in ihnen vergeudet. Sie waren praktisch. Land war um Andiquar herum eine kostspielige Angelegenheit, und es gab nicht viele Häuser, die nicht Teil einer durchgeplanten Gemeinde waren. Nun werden Sie verstehen, wie sehr sich das Landhaus von seiner Umgebung abhob. Und man konnte es sogar schon aus einigen Kilometern Entfernung sehen, wenn man von der Stadt kam. Außer natürlich bei Nacht.
Wir passierten den Melony, korrigierten den Kurs, drosselten das Tempo und sanken zwischen den Baumkronen herab.
Es war eine Stunde nach Sonnenuntergang. Der Mond war noch nicht aufgegangen, aber die Sterne funkelten, wie es heller kaum möglich war. Das Haus und die Landeplattform hätten normalerweise beleuchtet sein müssen, als wir uns näherten, aber an diesem Abend blieb es merkwürdigerweise dunkel.
Alex rüttelte an seinem Commlink. »Jacob«, sagte er. »Licht, bitte.«
Keine Reaktion.
»Jacob?«
Sanft setzten wir am Boden auf.
»Ich glaube nicht, dass er da ist«, sagte ich, als der Motor erstarb und die Lichter des Gleiters aufflackerten und Schatten auf die lange Front und die Seitenwand des Hauses warfen. Die Kabinentüren öffneten sich, und eine kühle Brise fegte durch das Luftfahrzeug.
»Warte hier«, sagte Alex und kletterte hinaus.
Das Gebiet war dicht bebaut. Rundherum drängten sich die Häuser bis an die niedrige Steinmauer heran, die im Norden und Osten die Grenze von Alex’ Grund und Boden markierte. Alle waren beleuchtet; also hatten wir es nicht mit einem allgemeinen Energieausfall zu tun.
Die Landeplattform befindet sich in einer leichten Senke. Hat man dort erst einmal aufgesetzt, kann man nur noch die oberen Stockwerke des Gebäudes sehen. Alex ging den Hang in Richtung Vordertür hinauf. Ich stieg aus und folgte ihm. Bisher hatte ich das Haus noch nie in so vollkommener Dunkelheit gesehen. Einbrecher gibt es heutzutage fast überhaupt nicht mehr, aber man konnte nie wissen. »Vorsichtig«, mahnte ich.
Der Gehweg war mit Steinscherben ausgelegt, die unter unseren Füßen knirschten, und wir konnten den Wind hören, der klagend durch die Baumkronen strich. Alex’ persönliche Fernbedienung versteckte sich in seinem Ring. Als er nun die Stufen zur Vordertür hinaufkletterte, deutete er mit dem Ring auf die Tür. Sie öffnete sich. Aber langsam. Zuwenig Energie.
Er ging hinein. Ich eilte zu ihm und packte sein Handgelenk. »Das halte ich für keine gute Idee.«
»Ist schon in Ordnung.« Er winkte ab und ging ins Wohnzimmer. Das Licht flackerte müde auf und erlosch gleich wieder.
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