Polaris
bereits einen Haufen Material über ihn flüchtig durchgesehen. Er war gewiss keine überragende politische oder wissenschaftliche Größe, und es war auch nicht so, dass die Abteilung für planetarische Begutachtung und astronomische Forschung in den dreizehn Jahren, in denen er das Ruder geführt hatte, zu neuen Grenzen vorgestoßen wäre; aber er schien alle herausragenden innovativen Köpfe seiner Zeit gekannt zu haben. Er hatte sich ständig in Gesellschaft von Ratsmitgliedern und Präsidenten aufgehalten, von wichtigen Personen aus dem Showbusiness, Galaxy-Preis-Gewinnern und anderen schlagzeilenträchtigen Gestalten. Aber aus meiner Sicht war noch bedeutsamer, dass er ein Mann von eisernen Prinzipien gewesen zu sein schien. Er war ein überzeugter Kämpfer für die Menschenrechte. Überzeugt, dass wir auf die Umwelt achten mussten. Dass die Dinge so geordnet sein sollten, dass niemand zu viel Macht auf sich vereinen konnte. Dass wir unsere Kinder unterrichten und nicht indoktrinieren sollten. Dass wir einen Weg finden müssten, einen dauerhaften Frieden mit den Stummen herzustellen.
Taliaferro setzte seine Kraft großzügig ein und drückte sich nie vor einer Auseinandersetzung. Er unterstützte die Bemühungen zur Bekämpfung der Korruption auf Regierungsebene und zur Stabilisierung der Bevölkerungszahlen in den Welten der Konföderation ebenso wie die zur Beschränkung der Macht der Medien und zur Bekämpfung von Industriespionage. Er kämpfte gegen Bauunternehmer, die archäologische Stätten oder ursprüngliche Wildnis zerstörten, und er tat, was er konnte, um vom Aussterben bedrohte Spezies zu schützen.
Er, Boland und Klassner waren enge Verbündete in diesen Kulturkriegen. »Die Leute haben ihn nie wirklich zu würdigen gewusst«, so stellte einer der Biografen fest, »bis zu jenem letzten Tag, an dem er sein Büro abgeschlossen und sich von seinen Mitarbeitern verabschiedet hatte und aus der Welt spaziert war.«
In jener Zeit hauste die Vermessung in der Union Hall, einem alten Steinbau, der einst als Gerichtsgebäude gedient hatte. Wenn Taliaferro sich auf den Heimweg machte, wurde er routinemäßig auf der Landeplattform auf dem Dach des Gebäudes von einem Gleiter abgeholt. Aber an diesem letzten Tag erklärte er der KI, er würde außer Haus speisen und nach einer Transportgelegenheit rufen, wenn und falls er sie brauchen würde.
Mit wem hatte er essen wollen?
»Das weiß niemand«, berichtete Jacob. »Als die Ermittler seinerzeit versucht haben herauszufinden, was vorgefallen war, haben sie festgestellt, dass er seine Bankkonten weitgehend abgeräumt hatte, abgesehen von einer bescheidenen Summe, die schließlich an seine Tochter Mary gegangen ist. Übrigens sein einziges Kind.«
»Was war mit seiner Frau?«
»Er war verwitwet. Sie ist jung gestorben. Bootsunfall. Den Aussagen von Freunden zufolge hat er nie aufgehört, um sie zu trauern. Aber es gab später in seinem Leben noch eine andere Frau. «
»Wer war das?«, fragte Alex.
»Ivy Cumming. Sie war Ärztin.«
»Wie viel Geld hatte er?«
»Millionen.«
Das überraschte Alex. »Woher hatte er so viel?«, fragte er.
»Das war altes Geld«, sagte ich. »Seine Familie war schon seit Generationen vermögend. Als der Besitz in seine Hände fiel, hat er angefangen, ihn zur Unterstützung der verschiedensten Projekte einzusetzen. Er scheint vollkommen selbstlos gewesen zu sein.«
Ich aß mit einem Freund zu Abend, ging nach Hause und beschloss, einen Versuch mit dem Taliaferro-Avatar zu wagen. Ich hatte ihn natürlich bereits bei der Polaris-Tagung kurz zu sehen bekommen, wenn ich damals auch nicht gewusst hatte, wer er war. Nun jedoch hatte ich ein paar Fragen.
Das Gespräch mit einem Avatar birgt natürlich stets ein Problem. Er sieht aus wie die Person, die er repräsentiert, aber wir wissen, dass es sich lediglich um eine Projektion handelt, die von einem Datenwiedergabesystem unterstützt wird. Die Leute trauen den Datenspeichern, und die Avatare sehen absolut real aus. Sie sind überzeugend, sodass jedermann geneigt ist, die Dinger beim Wort zu nehmen, aber im Grunde genommen basieren all die Informationen auf den Daten, die die jeweilige Person selbst geliefert hat, was bedeutet, der Jemand hinter dem Avatar präsentiert sich in ihm stets von seiner Schokoladenseite. Außerdem gibt es dann und wann Zusätze, die von interessierten Personen geliefert werden, die wiederum ihre eigenen Vorstellungen von der Realität haben.
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