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Polaris

Polaris

Titel: Polaris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack McDevitt
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sagte nichts, sondern verließ sich, wie ich annehme, auf meine Diskretion. Oder auf meinen gesunden Menschenverstand. Aber hoffentlich nicht auf meine Vorzüge. »Wie geht es dir, Chase?«, fragte er.
    Vlad klang besorgt, und mir wurde klar, warum er tatsächlich angerufen hatte. »Gut«, antwortete ich. »Mir geht es prächtig.«
    »Gut.« Regen klatschte auf die Windschutzscheibe. »Weißt du schon irgendwas über den Kerl, der versucht, die Artefakte zu stehlen?«
    »Ich habe nie gesagt, irgendjemand würde versuchen, sie zu stehlen, Vlad.«
    »Das ist nur die logische Schlussfolgerung.«
    »Wir wissen nicht genau, was los ist. Wir wollen nur kein unnötiges Risiko eingehen.«
    »Naja, jedenfalls wollte ich dich wissen lassen, dass sich hier keine Fremden herumgetrieben haben.«
    »Gut«, sagte ich.
    »Wenn mir doch einer begegnet, werde ich dir Bescheid geben.«
     
    Das war, wie ich vermutete, meine Nacht. Als ich nach Hause kam, erzählte mir die KI, dass Ida Patrick in der Leitung wäre.
    Ida war die Art zielstrebiger und gut gebildeter Frau in mittleren Jahren, die man an Wochentagen des Nachmittags üblicherweise an einem Fruchtsaft nippend beim Orinocospiel im Club vorzufinden erwartete. Nichts entrüstete sie mehr als unangemessenes Verhalten. Für Ida war die Welt ein sauberer, gut beleuchteter Ort und Anstand die wichtigste aller Tugenden, und jeder, der sich mit diesen Maßstäben nicht anfreunden konnte, sollte sich schlicht anderswo hinbegeben. Ihre Entrüstung war auf den Siedepunkt gestiegen, als ich angedeutet hatte, es könnte ein Dieb sein Unwesen treiben. Nichtsdestotrotz liebte sie das Ränkespiel.
    »Chase«, sagte sie. »Ich habe einen Anruf erhalten.« Bei den letzten Worten senkte sie bereits verschwörerisch die Stimme.
    »Wegen des Overalls?«
    »Ja.« Mit einem hörbaren Hauch entließ sie den letzten Atemzug aus ihrer Lunge.
    »Von wem?«
    »Er sagte, er sei Historiker. Er hat behauptet, er würde ein Buch über die Polaris schreiben, und er wollte wissen, ob er sich den Overall ansehen dürfe.«
    »Wie ist sein Name?«
    Sie zog ein Stück Papier zurate. »Kiernan«, sagte sie. »Ich glaube, der Vorname lautet Marcus.«
    Marcus Kiernan. Ich ließ eine Suche durchführen.
    Zwei Treffer. Einer war auf der anderen Seite des Planeten, der andere in Tiber, was gerade zwanzig Kilometer westlich von Andiquar lag, nahe an Idas Residenz. Der Hiesige hatte zwei populäre Geschichtsabhandlungen geschrieben. Beide behandelten berühmte Katastrophen des letzten Jahrhunderts. In Palliot rekonstruierte er den Verlust des gefeierten Luftschiffs, das im Jahr 1362 mit hundertfünfundsechzig Passagieren an Bord, zu denen auch der literarische Überflieger Albert Combs zählte, abgestürzt war; Windjammer handelte von Baxter Hollin und seinen Passagieren aus dem Showbusiness, die 1374 über die Misty Sea gesegelt und spurlos verschwunden waren. Der zweite Kiernan war siebzig.
    »Wie sieht er aus, Ida?«
    »Rötliches Haar. Attraktiv. Jung.«
    »Wie groß ist er?«
    »Das kann ich nicht sagen. Ich bin ihm noch nicht persönlich begegnet. Virtuell sieht er durchschnittlich groß aus.«
    »Wann wird er Sie besuchen?«
    »Morgen Abend. Um sieben. Er wollte heute schon kommen, aber ich habe ihm gesagt, ich hätte zu tun.«
    Zur Sicherheit überprüften wir noch den anderen Marcus Kiernan. Trotz des Namens erwies sich dieser als Frau.
    Wir hätten einfach Fenn alarmieren können, aber Alex wollte selbst sehen, wer dieses Individuum war, und hören, was es zu sagen hatte. »Für den Augenblick«, sagte er zu mir, »fürchte ich, da könnte mehr dran sein, als Fenn zu handhaben versteht.«
     
    Ida lebte allein in einer herrlichen Villa im traditionellen Stil außerhalb von Margulies am Spirit Lake, achtzig Kilometer westlich von Andiquar. Das Haus hatte Fenster zu allen Seiten, ein Kuppeldach und eine umlaufende Veranda im Obergeschoss. Ein Glasturm überragte den Ostflügel. Das Mobiliar im Inneren war eklektisch. Ein moderner Sessel mit geteilter Rückenlehne stand neben einem altesischen Sofa und einem Mahagonitisch. Das war nicht die Art Einrichtung, die ich mir gewünscht hätte, aber in Idas Haus schien sie zu passen.
    Alex hatte ein Replikat des Overalls anfertigen lassen, und wir hatten es mitgebracht. Er reichte es Ida, die es mit dem Original verglich. »Hervorragend«, stellte sie fest. »Man kann eines nicht vom anderen unterscheiden. Nehmen Sie an, er wird versuchen, den Overall zu

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