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Polaris

Polaris

Titel: Polaris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack McDevitt
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die Wände des Korridors, vorwiegend Landschaftsbilder und ausschließlich Originale, und Kiernan blieb zweimal stehen, um die Werke zu bewundern und Ida Komplimente über ihren Geschmack zu machen. Er schien recht sachkundig zu sein, und Ida war zweifellos beeindruckt von ihm.
    Endlich betraten wir den Salon, und Ida wies Henry an, die Vitrine zu öffnen.
    »Hier bewahren Sie ihn auf?«, fragte Kiernan. »In diesem Zimmer? Ich hatte angenommen, er läge irgendwo im Tresor.« Ein Scherz, aber sein Ton deutete an, dass er es doch ernst meinte. Das ist kostbar. Achten Sie gut darauf. Die Welt ist voller gewissenloser Verbrecher.
    »Oh, hier ist er absolut sicher, Marcus.« Ida öffnete den Deckel auf der Oberseite, zog den nachgemachten Overall heraus und hob ihn an den Schultern hoch, sodass er sich ganz entfalten konnte. Er war dunkelblau, die Farbe des Meeres bei Nacht. Der Polaris-Aufnäher befand sich auf der linken Schulter, und auf der weißen Brusttasche war der Name ENGLISH in weißer Schrift eingestickt.
    Kiernan trat näher, als hätte er ein Relikt vor sich. »Prachtvoll«, sagte er.
    Unerklärlicherweise fühlte ich mich plötzlich schuldig.
    Er streckte die Hand aus und berührte den Overall mit den Fingerspitzen. Berührte den gestickten Namenszug.
    ENGLISH.
    Maddy. Ich glaube, in dem Augenblick verstand ich, warum Passagiere auf der Sheila Clermo immer wieder die Anwesenheit von Mendoza, Urquhart, White und den anderen zu spüren geglaubt hatten. Und vor allem die von Maddy. Arme tragische Maddy. Einem Captain kann nichts Schlimmeres widerfahren, als die Leute zu verlieren, die mit ihm reisen, die sich darauf verlassen, dass er sie sicher durch alle erdenklichen Widrigkeiten steuert. Ida muss es auch gefühlt haben. Ihre Augen waren feucht.
    Kiernan stand da, als würde er Kraft aus dem Kleidungsstück beziehen, und schließlich nahm er es in die eigenen Hände. »Ich kann es kaum fassen«, sagte er.
    »Marcus«, fragte ich. »Waren Sie einmal an Bord des Schiffs?«
    »Auf der Clermo? Oh ja, ich war an Bord.« Seine Miene veränderte sich, zeigte sich bekümmert. »Vor Jahren.«
    »Stimmt etwas nicht?«
    »Nein. Ich dachte nur gerade, dass die Vermessung das Schiff nie hätte verkaufen dürfen.«
    »Da stimme ich Ihnen zu«, verkündete Ida im Tonfall der Entrüstung.
    »Es ist von unschätzbarem historischem Wert.«
    Ich sah den Overall an. Sah ihn an. Kiernan musste ihn hochhalten, um ihn nicht den Boden berühren zu lassen. Maddy war also auch größer gewesen als er.
    Wir alle starrten ihn an. Starrten den glatten dunkelblauen Stoff an, den Aufnäher auf der Schulter, die Taschen. Alles in allem sechs, Brusttaschen weiß eingefasst, Seiten- und Hintertaschen einfarbig schlicht.
    »Nichts drin, nehme ich an?«, fragte er.
    »Nein«, antwortete Ida. »Das Glück hätte ich haben sollen.«
    Lässig, fast beiläufig, sah er nach. Öffnete jede Tasche, lugte hinein, lächelte die ganze Zeit über und verkündete, man könne schließlich nie wissen, schüttelte dann traurig den Kopf, als kein Fetzen der Geschichte der Polaris in dem Overall zum Vorschein kommen wollte. Seine Vorstellung war so überzeugend, dass ich ihm beinahe geglaubt hätte. »Schade«, sagte er, als er fertig war. »Aber wir müssen schon dankbar sein, das hier zu haben.« Er faltete den Overall wieder zusammen und gab ihn Ida zurück. »Danke, Ida.« Dann sah er zur Uhr. »Es ist spät geworden. Ich muss jetzt wirklich los. Es war mir eine Freude, Sie kennen zu lernen, Ida. Und Sie, Chase.«
    Er machte sich auf den Weg zur Tür.
    »Sie sind einen langen Weg hierher gekommen, Marcus«, sagte Ida. Tatsächlich wussten wir überhaupt nicht so genau, woher er gekommen war. »Kann ich Ihnen vielleicht noch etwas anbieten, bevor Sie gehen?«
    »Nein«, entgegnete er. »Vielen Dank, aber ich muss wirklich gehen.«
    Er verbeugte sich vor uns beiden; dann gingen wir schon gemeinsam zur Haustür. Sie öffnete sich, und Kiernan ging hinaus in den Sonnenuntergang, kletterte in seinen Gleiter und stieg in den Abendhimmel auf.
    Ich nahm den falschen Overall an mich und war gerade dabei, ihn vorsichtig in einen Plastenebeutel zu packen, als Alex in den Salon stürmte.
    »Gehen wir«, sagte er.
    »Wohin?«
    »Ida.« Er strahlte sie an. »Sie waren wunderbar.« Und, mit einem Blick auf mich: »Alle beide.« Wir gingen in Richtung Vordertür. »Danke, Ida. Ich werde mich bei Ihnen melden und Sie wissen lassen, was weiter passiert.« Er schnappte sich

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