Polarsturm
bangen Blicken. Ein gedrungener Mann mit dem Gesicht einer Bulldogge kam auf die beiden Männer zu.
»Käpt’n, der Maschinenraum ist vollkommen überflutet, und ein Teil des Hecks wurde abgerissen«, sagte der Chefmaschinist der
Narwhal
. »Außerdem wurde mir gemeldet, dass wir auch einen Wassereinbruch im vorderen Laderaum haben. Das Leck lässt sich nicht abdichten.«
Stenseth nickte. »Irgendwelche Verletzten?«
Der Maschinist deutete zur Seitenwand der Messe, auf einen Mann mit schmerzverzerrtem Gesicht, dessen linker Arm in einer behelfsmäßigen Schlinge lag.
»Der Koch ist beim Aufprall gestürzt und hat sich den Arm gebrochen. Alle andern sind heil davongekommen.«
»Wird jemand vermisst?«, fragte Stenseth, während er rasch abzählte und feststellte, dass zwei Mann fehlten.
»Dahlgren und Rogers, der Schiffselektriker. Die versuchen gerade, das Beiboot auszubringen.«
Stenseth drehte sich zu den übrigen Männern um. »Ich fürchte, wir müssen das Schiff verlassen. Alle Mann begeben sich sofort an Deck. Wenn wir das Beiboot nicht benutzen können, nehmen wir eins der Rettungsflöße an Backbord. Beeilen wir uns.«
Stenseth führte die Männer aus der Messe, blieb dann kurz stehen und stellte fest, dass das Wasser bereits bis dicht unter den Aufbauten stand. Schnellen Schrittes lief er zu dem vereisten Vorschiff, wo er sich auf dem schrägen Deck kaum aufrecht halten konnte. Auf der anderen Seite sah er ein Licht aufblinken, in dessen Schein zwei Männer eine manuelle Winde betätigten. Ein dreieinhalb Meter langes Skiff hing über ihnen in der Luft, aber wegen der Schräglage des Schiffes bekamen sie das Heck des Bootes nicht über die Bordwand. Einer der Männer fluchte lauthals mit breitem texanischen Akzent.
Stenseth stürmte zu ihnen, worauf sie mithilfe mehrerer Besatzungsmitglieder das Heck des Skiffs über die Reling hievten. Dahlgren legte rasch den Hebel der Winde um, dann ließen sie das Boot vorsichtig zu Wasser. Stenseth ergriff die Bugleine und zog das Boot zwanzig Schritte nach achtern, bis das Wasser an Deck um seine Stiefel leckte. Nun kletterte die Besatzung kurzerhand über die Reling und stieg in das Skiff.
Stenseth zählte die Männer ab, verließ dann nach dem verletzten Koch als letzter Mann das Schiff und begab sich in das enge hölzerne Beiboot, wo er sich einen Platz am Heck suchte. Ein leichter Wind war aufgekommen, der Löcher in den Nebel riss, aber auch die See kabbeliger werden ließ. Rasch trieb das Skiff ein paar Meter von dem sinkenden Schiff weg, blieb aber in der Nähe, sodass alle seine letzten Augenblicke verfolgen konnten.
Sie hatten kaum abgelegt, als sich der Bug des türkisfarbenen Schiffes steil in die Luft erhob, als wollte er sich noch der Schwerkraft widersetzen. Dann aber versank die
Narwhal
mit einem dumpfen Ächzen im schwarzen Wasser, aus dem ein steter Blasenstrom aufstieg, bis sie in der Tiefe verschwunden war.
Stenseth kochte zunächst vor Wut, dann, als er einen Blick auf seine Besatzung warf, war er zutiefst erleichtert. Es war das reinste Wunder, dass bei der Kollision niemand umgekommen war und alle das Schiff sicher verlassen hatten. Der Kapitän erschauderte beim Gedanken an die Zahl der Opfer, die es hätte geben können, wenn Pitt nicht den Großteil der Besatzung sowie sämtliche Wissenschaftler in Tuktoyaktuk zurückgelassen hätte.
»Ich hab die verdammten Steine vergessen.«
Stenseth drehte sich zu dem Mann neben ihm um und erkannte trotz der Dunkelheit, dass Dahlgren an der Ruderpinne saß.
»Von der hydrothermalen Quelle«, fügte er hinzu. »Rudi hat sie auf der Brücke liegen lassen.«
»Seien Sie lieber froh, dass Sie Ihre Haut gerettet haben«, versetzte Stenseth. »Mit dem Beiboot haben Sie gute Arbeit geleistet.«
»Ich wollte nicht in ’nem Gummiboot durchs Polarmeer schaukeln«, erwiderte Dahlgren. Dann senkte er die Stimme und fügte hinzu: »Diese Typen meinen es ernst, was?«
»Todernst, wenn es um Ruthenium geht, fürchte ich.« Er reckte den Kopf und hielt Ausschau nach dem Eisbrecher. Ein leises Grollen in der Ferne verriet ihm, dass sich das Schiff nicht mehr in unmittelbarer Nähe befand.
»Sir, an der äußersten Südostspitze der King-William-Insel ist eine kleine Siedlung namens Gøja Haven«, schaltete sich der Rudergänger ein, der eine Reihe weiter vorn saß. »Knapp über hundert Meilen von hier entfernt. Das ist laut Karte weit und breit der einzige Fleck, der so was Ähnliches wie Zivilisation
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