Polarsturm
ein bisschen länger ausweichen konnten, würden ihre Verfolger die Jagd vielleicht aufgeben. Er stand auf und betrachtete das Radarsichtgerät, bis der Blip hinter ihnen noch näher kam, dann nickte er dem Rudergänger zu.
Das schwere Forschungsschiff ächzte und bebte, als das Ruder herumgerissen wurde und die
Narwhal
jählings den Kurs änderte. Es war ein mörderisches Versteckspiel, doch es schien zu gelingen. Auf dem Radarmonitor sah es so aus, als hätte der Eisbrecher sie eingeholt, aber Stenseth konnte ihn noch immer nicht sehen. Fast eine Minute lang blieb die
Otok
weiter auf westlichem Kurs, bis man auf der Brücke das Manöver der
Narwhal
durchschaute, scharf beidrehen ließ und die Verfolgung weiter in Richtung Osten aufnahm.
Durch Stenseths Reaktion hatte das Schiff kostbare Zeit gewonnen, in der es mehr Fahrt aufnehmen konnte. Zugleich wurde die Besatzung alarmiert und nach oben geholt. Aber es dauerte nicht lange, bis der Eisbrecher erneut aufschloss.
»Diesmal hart nach Backbord«, befahl Stenseth, als die
Otok
wieder bis auf hundert Meter herangekommen war.
Diesmal sah man auf der Brücke des Eisbrechers das Manöver voraus, verschätzte sich aber und drehte nach Steuerbord. Doch binnen kürzester Zeit nahm das Schiff die Verfolgung wieder auf, während Stenseth versuchte, näher an die King-William-Insel heranzukommen. Das schnellere Schiff holte rasch auf, sodass die
Narwhal
erneut ausweichen musste. Stenseth entschloss sich, einmal mehr hart nach Backbord zu gehen. Doch diesmal ließ sich Zak nicht täuschen.
Wie ein hungriger Hai, der aus dunkler Meerestiefe zuschlägt, kam der Eisbrecher plötzlich aus dem Nebel geschossen, hielt auf die Flanke der
Narwhal
zu und bohrte seinen tödlichen Bug unmittelbar hinter dem Moon Pool fast fünf Meter tief in den Rumpf des Forschungsschiffes. Um ein Haar wäre die
Narwhal
gekentert, als sie durch die Wucht des Aufpralls seitlich in die Wogen geschleudert wurde. Eine Wand aus eisiger Gischt ergoss sich über das Deck, dann richtete sich das Schiff mühsam wieder auf.
Auf die Kollision folgte der tausendfache Aufschrei des geschundenen Materials – Stahl schabte über Stahl, hydraulische Leitungen barsten, Rumpfplatten splitterten, Generatoren brannten durch. Als das Werk der Zerstörung seinen Höhepunkt erreichte, kehrte einen Moment lang eine seltsame Stille ein, dann wurde das schrille Kreischen und Jaulen von einem mörderischen Gluckern abgelöst.
Der Eisbrecher setzte zurück, löste sich langsam aus dem klaffenden Loch und riss einen Teil des Achterschiffs der
Narwhal
ab. Der scharfe Bug des Schiffes war plattgedrückt, doch die doppelte Rumpfwand hatte nicht einmal einen Kratzer davongetragen. Die
Otok
blieb noch ein paar Minuten an Ort und Stelle, während Zak und die Besatzung ihr zerstörerisches Werk begutachteten. Dann verschwand das Schiff wie ein todbringendes Gespenst in der Nacht.
Die
Narwhal
war dem Untergang geweiht. Der Maschinenraum lief fast auf der Stelle voll und zog das Heck nach unten. Zwei der Schotten vor dem Moon Pool waren zermalmt, sodass weiteres Wasser in die unteren Decks eindringen konnte. Die
Narwhal
war zwar so robust konstruiert, dass sie bis zu zwei Meter dickes Eis durchpflügen konnte, aber gegen einen Rammstoß in die Rumpfwand war sie gerade nicht gefeit. Binnen weniger Minuten lag das Schiff halb unter Wasser.
Als sich Stenseth wieder aufrappelte, stellte er fest, dass die Brücke zu einer dunklen Höhle geworden war. Sie hatten keinen Strom mehr, und auch der mittschiffs stehende Notstromgenerator war bei der Kollision zerstört worden. Auf dem ganzen Schiff war es ebenso finster wie draußen in der nebligen Nacht.
Der Rudergänger stürmte zu einem Spind im hinteren Teil der Brücke und holte eine Taschenlampe, die dort für Notfälle aufbewahrt wurde.
»Käpt’n, ist mit Ihnen alles in Ordnung?«, fragte er und leuchtete die Brücke ab, bis der Lichtstrahl Stenseth erfasste.
»Mir geht’s jedenfalls besser als meinem Schiff«, erwiderte er und rieb sich den schmerzenden Arm. »Kümmern wir uns um die Besatzung. Ich fürchte, wir müssen das Schiff so schnell wie möglich verlassen.«
Die beiden Männer zogen ihre Parkas an und begaben sich aufs Hauptdeck, das sich bereits stark nach achtern neigte. Sie betraten die Messe, die noch von zwei batteriebetriebenen Laternen beleuchtet wurde. Der größte Teil der Rumpfmannschaft des Schiffes hatte sich bereits hier versammelt und empfing sie mit
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