Polarsturm
Behauptungen, in denen man uns imperialistische Umtriebe unterstellt. Aussagen, die so klingen, als kämen sie aus einer Bananenrepublik.«
»Und sie beschränken sich nicht nur auf Worte«, schaltete sich der Verteidigungsminister ein. »Sie haben vor kurzem ihre Häfen geschlossen und ihre Streitkräfte in Alarmzustand versetzt.«
»Das ist richtig«, erklärte Moss. »Die kanadische Küstenwache weist sämtliche unter amerikanischer Flagge fahrenden Schiffe ab, die Vancouver und Quebec anlaufen wollen, sowie alle Frachtkähne nach Toronto. Wir rechnen damit, dass in ein, zwei Tagen auch die Grenzübergänge geschlossen werden.«
»Diese Sache läuft ziemlich aus dem Ruder«, stellte der Präsident fest.
»Es kommt noch schlimmer. Wir haben erfahren, dass die anstehenden Importe aus dem Melvillesund ausgesetzt werden. Zudem haben wir Grund zu der Annahme, dass das dortige Erdgas an die Chinesen geliefert wird. Aber wir wissen nicht, ob dies auf Anweisung der Regierung oder im Auftrag des Unternehmens geschieht, die dieses Gasfeld ausbeutet.«
Der Präsident sank auf seinem Stuhl zusammen und wirkte wie benommen. »Das gefährdet unsere ganze Zukunft«, sagte er leise.
»Sir«, erklärte der Verteidigungsminister, »wie man es auch betrachtet, aber die kanadische Regierung hat uns fälschlicherweise die Schuld am Verlust ihres arktischen Eislabors und der Beschädigung eines ihrer Patrouillenboote gegeben. Man hat gegen das Völkerrecht verstoßen und in internationalen Gewässern ein Schiff der US-Küstenwache gekapert, dessen Besatzung man als Kriegsgefangene behandelt. Das Gleiche ist mit unseren Delta Forces geschehen, sofern man sie und die Schiffsbesatzung nicht getötet hat. Darüber hinaus droht man unserem Land auf dem Energiesektor mit Erpressung. Alle diplomatischen Vorstöße sind gescheitert, Sir. Es wird Zeit, dass wir zu anderen Mitteln greifen.«
»Wir sind ja wohl noch lange nicht auf der Schwelle zu einer militärischen Eskalation«, warf Sandecker ein.
»Da magst du zwar Recht haben, Jim, aber das Leben dieser Männer steht auf dem Spiel«, sagte der Präsident. »Ich möchte, dass wir dem Premierminister eine offizielle Aufforderung zukommen lassen, in der wir verlangen, dass die Besatzung und der Rettungstrupp binnen vierundzwanzig Stunden freigelassen werden. Aber mach es diskret, damit dieser populistische PM das Gesicht wahren kann. Über das Schiff können wir später verhandeln, doch ich fordere, dass diese Männer sofort freikommen. Und außerdem möchte ich, dass wir diese Erdgaslieferungen erhalten.«
»Wie reagieren wir, wenn sie nicht darauf eingehen?«, fragte Moss.
Der Verteidigungsminister meldete sich zu Wort. »Mr. President, wir haben mehrere Möglichkeiten für einen begrenzten Erstschlag ausgearbeitet.«
»Einen ›begrenzten Erstschlag‹ … Was soll das heißen?«, fragte der Präsident.
»Eine begrenzte Kampfhandlung«, fuhr der Verteidigungsminister fort, »bestünde im Einsatz eines minimalen Aufgebots, das erforderlich wäre, um einen Großteil der kanadischen Luft- und Seestreitkräfte mit chirurgischen Schlägen auszuschalten.«
Der Präsident lief rot an. »Ich rede nicht von einem Krieg. Mir geht es lediglich darum, dass sie auf uns eingehen.«
Der Verteidigungsminister machte sofort einen Rückzieher. »Wir könnten uns auch auf ein einzelnes Ziel beschränken«, sagte er leise.
»Was meinst du, Jim?«, fragte der Präsident an Sandecker gewandt.
Der Vizepräsident zeigte eine grimmige Miene, als er eine Mitteilung las und dann hochhob.
»Ich habe soeben von Rudi Gunn, dem stellvertretenden Direktor der NUMA, erfahren, dass deren Forschungsschiff
Narwhal
in der Nordwestpassage vermisst wird. Vor der Victoria-Insel. Das Schiff wurde vermutlich gekapert oder mitsamt der Besatzung versenkt, darunter ist auch Dirk Pitt, der Leiter der NUMA.«
Der Verteidigungsminister wandte sich mit einem selbstgefälligen Grinsen an Sandecker.
»Ich habe den Eindruck«, sagte er spitz, »dass wir die Schwelle, von der Sie vorhin gesprochen haben, damit erreicht haben.«
71
Die Vereinigten Staaten sind schon mindestens ein halbes Dutzend Mal mit Waffengewalt in Kanada eingefallen. Zum blutigsten Einmarsch kam es während des Amerikanischen Revolutionskrieges, als General Richard Montgomery von Fort Ticonderoga aus gen Norden marschierte, Montreal einnahm und dann gegen Quebec zog. Eine zweite Streitmacht, die unter Führung von Benedict Arnold von Maine aus in
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