Polarsturm
Meinung nach eher etwas für einen Zollinspektor als für einen Kapitän.
Doch Weber konnte seinen Vorgesetzten kaum einen Vorwurf machen, befolgten sie doch bloß eine Anordnung des säbelrasselnden kanadischen Premierministers. Als die seit jeher gefrorenen Abschnitte der Nordwestpassage auftauten, hatte der Premierminister nachdrücklich erklärt, dass die Passage kanadisches Hoheitsgewässer sei, und Mittel für den Bau eines arktischen Hochseehafens in Nanisivik bewilligt. Kurz darauf versprach er den Bau einer Flotte militärischer Eisbrecher und die Einrichtung neuer arktischer Stützpunkte. Die umtriebige Lobbyarbeit zwielichtiger Interessengruppen bewegte das Parlament dazu, den Premierminister zu unterstützen, als er strenge Beschränkungen für ausländische Schiffe erließ, die die Passage befahren wollten.
Von Gesetzes wegen mussten sämtliche nicht-kanadischen Schiffe, die durch die Passage wollten, die Küstenwache von ihrem vorgesehenen Kurs verständigen, eine Passagegebühr bezahlen, die etwa so hoch war wie bei der Durchfahrt des Panamakanals, und sich von einem kanadischen Eisbrecher durch die engeren Abschnitte dieses Seeweges begleiten lassen. Ein paar Länder, darunter Russland, Dänemark und die Vereinigten Staaten, widersetzten sich den kanadischen Ansprüchen und ermutigten ihre Reeder zum Befahren dieser Gewässer. Andere Industrieländer jedoch fügten sich im Namen der Wirtschaft. Handelsschiffe, die zwischen Europa und Ostasien verkehrten, konnten die Fahrtrouten ihrer Schiffe um Tausende von Meilen abkürzen, wenn sie nicht mehr den Panamakanal passieren mussten. Und bei Schiffen, die zu groß für den Panamakanal waren und bislang um Kap Horn fahren mussten, waren die Einsparungen noch weitaus höher. Da die Frachtkosten für einen durchschnittlichen Container dadurch um rund tausend Dollar sanken, sahen große und kleine Handelsflotten in der Passage durch die Arktis rasch eine lukrative Ausweichstrecke.
Als die Eisschmelze schneller voranschritt, als die Wissenschaftler vorausgesagt hatten, fingen die ersten Reedereien damit an, die Fahrt durch diese eisigen Gewässer auszuprobieren. Noch immer blockierten den Großteil des Jahres über dicke Eisschichten ganze Abschnitte der Route, aber in heißen Sommern war die Passage regelmäßig eisfrei geworden. Zudem unterstützten starke Eisbrecher die ehrgeizigen Handelsflotten, die den Seeweg von April bis September befahren wollten. Und mittlerweile war absehbar, dass die Nordwestpassage in ein, zwei Jahrzehnten eine ganzjährig befahrbare Schifffahrtsroute sein würde.
Während er auf das nahende schwarze Handelsschiff starrte, wünschte sich Weber, die Passage wäre wieder zugefroren. Aber wenigstens ist der Kahn da mal was anderes als die Eisberge, die wir ständig anglotzen müssen, dachte er.
»Vier Kilometer und immer noch auf Annäherungskurs«, meldete der Rudergänger.
Weber wandte sich an den schlaksigen Funker, der in einer Ecke der kleinen Brücke saß.
»Hopkins, verlangen Sie eine Identifikation und Auskunft über die Fracht«, befahl er.
Der Funker rief das Schiff an, erhielt aber keine Antwort. Er überprüfte das Funkgerät, danach setzte er seinen Spruch noch einige Male ab.
»Die melden sich nicht, Sir«, sagte er schließlich mit verständnisloser Miene. Dieses Verhalten widersprach jeglicher Erfahrung, die er bislang gemacht hatte, denn normalerweise waren die Besatzungen auf ihrer einsamen Fahrt durchs Nordpolarmeer jederzeit zu einer ausgiebigen Plauderei bereit.
»Versuchen Sie’s weiter«, befahl Weber. »Wir sind schon so nahe, dass wir sie fast auf Sicht identifizieren können.«
»Noch zwei Kilometer«, bestätigte der Rudergänger.
Weber richtete erneut sein Fernglas auf das Schiff und musterte es. Es war ein verhältnismäßig kleines Containerschiff, das nicht mehr als hundertzwanzig Meter maß. Es wirkte ziemlich neu, hatte aber seltsamerweise nur ein paar Container auf dem Oberdeck. Ähnliche Schiffe hatten, wie er wusste, oftmals sechs, sieben Lagen Container übereinandergestapelt. Neugierig geworden, betrachtete er die Freibordmarke und stellte fest, dass sie relativ hoch über dem Wasser lag. Er hob das Glas und blickte zur abgedunkelten Brücke, dann zur Mastspitze hinter den Aufbauten. Zu seinem Erstaunen sah er dort das Sternenbanner in der steifen Brise wehen.
»Ein Amerikaner«, murmelte er. Die Nationalität überraschte ihn, denn eigentlich boykottierten amerikanische Schiffe die
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