Polarsturm
Kanonenschlag in seinem Ohr los, als der Wagen über die Straße schlitterte, gegen irgendetwas prallte und jäh zum Stehen kam, dann hörte er rundum nur noch rauschenden Schotter und meinte, jeden Moment die Besinnung zu verlieren. Er nahm noch vage etwas Warmes, Feuchtes im Gesicht wahr, als er im Sitz zusammensackte. Im nächsten Moment verschwamm alles vor seinen Augen, er spürte gar nichts mehr und versank in einem schwarzen Loch.
38
Pitt wusste, dass er am Leben war, weil er das Gefühl hatte, jemand malträtiere seinen Schädel mit einem Vorschlaghammer. Dann schaltete sich sein Gehörsinn wieder ein, und er nahm ein rhythmisches Kratzen ganz in der Nähe wahr. Er bewegte die Finger, stieß auf Widerstand, überzeugte sich aber davon, dass sie noch immer um das Lenkrad des Mietwagens geschlungen waren. Zwar konnte er die Beine frei bewegen, aber Kopf, Brust und Arme fühlten sich wie eingeklemmt an. Benebelt wie er war, stellte er mit einem Mal fest, dass er kaum atmen konnte, und versuchte sich zu befreien, kam sich aber wie eine mit Binden umwickelte Mumie vor. Langsam schlug er die Augen auf, die sich wie zugeklebt anfühlten. Doch er sah nur Schwärze.
Der Druck auf seine Lunge wurde stärker, worauf er noch stärker dagegen ankämpfte und schließlich eine Hand und einen Unterarm freibekam. Dann hörte er eine Stimme und ein hektisches Scharren, bis etwas über sein Gesicht kratzte und er von einem jähen Licht geblendet wurde. Tief atmete er die staubige Luft ein und blinzelte durch den dichten Dunst, der ihn umgab. Ein braunes Augenpaar, das einem hell- und dunkelbraun gescheckten Dackel gehörte, starrte ihn an, aber noch mehr verwirrte Pitt, dass der Hund offenbar auf dem Kopf stand. Dann kam er näher, beschnupperte Pitts Gesicht und leckte ihm die Nase ab.
»Aus dem Weg, Mauser, er lebt noch«, ertönte eine Männerstimme.
Ein kräftiges Händepaar tauchte auf und schaufelte noch mehr Erde und Schotter weg, die Pitts Kopf und Oberkörper unter sich begraben hatten. Dann bekam er endlich die Arme frei, worauf er seinem Retter dabei half, ihn weiter herauszugraben. Er hob die Hand, wischte sich mit dem Ärmel das verklebte Blut und den Staub aus den Augen und blickte sich dann um. Als er den unangenehmen Druck des Sicherheitsgurtes über der Brust spürte, wurde ihm schließlich klar, dass er kopfüber im Sitz hing. Die beiden Hände griffen jetzt in den Wagen und lösten den Gurt, worauf Pitt am Dachhimmel des Autos landete. Er kratzte am Fenster auf der Fahrerseite, aber die Hände zerrten ihn zur offenen Beifahrertür.
»Dorthin wollen Sie ganz bestimmt nicht, Mister. Dort geht’s tief runter.«
Pitt gehorchte und kroch zur Beifahrertür, wo ihm sein Retter beim Aussteigen half und ihn auf die Beine zog. Das Hämmern in seinem Kopf ließ nach, sobald er aufrecht stand, aber noch immer rann ihm Blut über die Wange. Dann schaute er das beschädigte Fahrzeug an und schüttelte den Kopf, als er sah, wie viel Glück er gehabt hatte.
Die abrutschenden Gesteins- und Schottermassen hatten das zerbeulte Auto umgekippt, aufs Dach geworfen und quer über die Straße bis an den Rand des steilen Abgrunds geschoben, unter dem der Fluss dahinrauschte. Vermutlich wäre der Wagen abgestürzt und hätte Pitt mit in den Tod gerissen, wenn er nicht gegen ein fest im Boden zementiertes Verkehrszeichen geprallt wäre, das sich unmittelbar hinter dem vorderen Kotflügel ins Blech gebohrt hatte und ihn festhielt, während sich ringsum tonnenweise loses Gestein in die Tiefe ergoss. Die Straße selbst war auf gut fünfzig Meter Länge von Erde und Felsbrocken verschüttet.
»Sie müssen ein anständiges Leben führen, sonst wären Sie über die Kante geflogen«, hörte Pitt seinen Retter sagen.
Er drehte sich um und sah einen kräftigen älteren Mann mit weißen Haaren und Bart vor sich, der ihn mit freundlichen Augen betrachtete.
»Meine anständige Lebensweise hat mich garantiert nicht gerettet«, erwiderte Pitt. »Danke, dass Sie mich rausgezogen haben. Ich wäre da drin erstickt, wenn Sie mich nicht frei gegraben hätten.«
»Nicht der Rede wert. Warum kommen Sie nicht mit in meinen Camper und lassen sich verpflastern?«, sagte der Mann und deutete auf ein Wohnmobil, das ein paar Meter entfernt auf der Straße stand. Es war das gleiche Fahrzeug, das Pitt kurz zuvor überholt hatte.
Pitt nickte und folgte dem Mann und dem braun gescheckten Dackel, als sie durch die offene Seitentür in das Wohnmobil
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