Pole Position: Sebastian Vettel - sein Weg an die Spitze (German Edition)
Reifentausch ein. Die Taktik ging schief: Eine Safety-Car-Phase hatte das Feld zusammengestaucht. Alonso kam mitten im Getümmel heraus und schaffte es bis ins Ziel nicht mehr, genügend Gegner zu überholen. Hauchdünn verpasste er den Titel. Sebastian Vettel konnte die Geschichte selbst kaum glauben: Was das Resultat bedeute, wollte er von seinem Renningenieur wissen, als er als Erster ankam. Der gab zurück: »Es sieht ganz gut aus. Wir müssen aber noch auf ein paar andere Autos warten.« Wenig später meldete er sich wieder bei Vettel: »Glückwunsch, du bist Weltmeister!« Daraufhin brach es in schriller Stimme aus dem heraus: »Uuuuiaa … danke, Jungs … iuuuu … aaaa … unglaublich … danke … ich liebe euch.« Dass er in dem Moment »wie ein Mädchen« klang und alle Welt ihn hörte, war Vettel anschließend peinlich gewesen.
Auto-Schach
Es gibt Sportarten, bei denen die Dramaturgie klar ist, bei denen abzusehen ist, wann entscheidende Momente anstehen. Die Kür beim Eiskunstlauf wird selten entschieden, bevor die letzte Gruppe mit den besten Startern aufs Eis geht. Bei Skirennen haben, wenn die Piste weich wird, die Läufer mit den falschen Startnummern keine Chance. Beim Biathlon verdichtet sich die Spannung am Schießstand. Die Formel 1 kennt nur wenige solche Momente garantierter Spannung. Der Start ist so einer. Die Boxenstopps können es auch sein. Ansonsten aber kann es mitunter recht lange recht gleichmäßig dahingehen. Wenn die Technik nicht streikt, wenn sich zwei Fahrer nicht nahe kommen, wenn nicht – wie 1999 in Hockenheim – ein einstiger Mercedes-Mitarbeiter mit einem Protestplakat auf die Strecke stürmt, um gegen seine Entlassung zu protestieren, oder – wie 2003 in Silverstone – ein ehemaliger Priester es über die Absperrungen schafft und den herandonnernden Autos mit der Botschaft entgegenläuft, die Menschen sollten häufiger in der Bibel lesen, wenn also nichts Unvorhergesehenes eintritt, spulen die Autos, von außen betrachtet, ihr Pensum ab wie Spielzeugautos auf der Carrera-Bahn. Runde um Runde.
Dann geschieht auf den ersten Blick wenig Aufregendes. Noch nicht einmal die vielen ausgefeilten Kamera-Positionen ändern etwas am Eindruck scheinbarer Gleichförmigkeit; die Bilder aus den Cockpits vermitteln die Geschwindigkeit kaum, sie wackeln noch nicht einmal. Mitunter wirkt es wie ein anderes Kinderspiel: wie ein Rennen auf der Playstation. Der Große Preis von Japan 2011 bietet so eine Phase. Nachdem Sebastian Vettel und Jenson Button, Ferrari-Fahrer Fernando Alonso und Lewis Hamilton im zweiten McLaren neue Reifen aufgezogen haben, geht es in dieser Reihenfolge scheinbar kontrolliert dahin. Sebastian Vettel, den Führenden, und Hamilton, den Vierten, trennen knapp sechs Sekunden. Das ist kein gewaltiger Abstand. Aber er ist zu groß, als dass es Überholmanöver geben könnte, selbst mit den zwei großen Hilfen, die die Fahrer in dieser Saison zur Verfügung haben: das EnergieRückgewinnungssystem, das nach der Abkürzung für seinen englischen Namen – Kinetic Energy Recovery System – Kers genannt wird. Und den auf Knopfdruck absenkbaren Heckflügel, ein System, das einen noch technischeren Namen trägt, DRS für Drag Reduction System. Kers ist technisch kompliziert, seine Wirkweise aber lässt sich leicht beschreiben: Ein Teil der Energie, die beim Bremsen frei wird, darf – in elektrische Energie umgewandelt und in Batterien transferiert – gespeichert und, über einen Elektromotor, auf Knopfdruck dann wieder entfesselt werden. Der Schub, den das bringt, entspricht etwa 82 zusätzlichen Pferdestärken; es ist also ein ordentlicher Bums. Maximal entfaltet werden darf die Kraft 6,5 Sekunden lang, wobei den Fahrern nicht vorgegeben ist, dass sie alles auf einmal abrufen müssen. Sie können die Zusatz- PS auch in mehreren Portionen einsetzen. Was für die Rundenzeit am besten ist, berechnet der Computer im Voraus. Die Fahrer müssen darauf konzentriert sein, den Knopf an der richtigen Stelle für die richtige Zeit zu drücken. Mit DRS verhält es sich genau umgekehrt: Der Mechanismus ist simpel; auf einen Knopfdruck hin stellt sich ein Teil des Heckflügels blitzschnell waagerecht. Mit der Folge, dass der Wagen wesentlich weniger Luftwiderstand bietet. Bei Vollgas geradeaus wird er deutlich schneller. Um diesen Effekt geht es. Das Überholen soll so möglich werden. Denn all die Simulatoren und Windkanäle, die in den achtziger und neunziger Jahren in die Formel
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