Pole Position: Sebastian Vettel - sein Weg an die Spitze (German Edition)
1 Einzug hielten, hatten der Rennserie ein Problem beschert: Die Autos wurden so lange geföhnt und ihre Flügel wurden so lange nachgefeilt, dass sie als wahre Kunstwerke daherkamen. Bewegte sich auf der Strecke aber eines nahe hinter einem anderen her, geriet das fein ausgeklügelte Windspiel durcheinander. Im Strudel anderer Autos ging die Balance verloren. Selbst wer in einem deutlich schnelleren Wagen saß, hatte kaum eine Chance, an einem Rivalen vorbeizukommen. Für einen Überholversuch musste es schon einen Klassenunterschied geben. Um dieses Dilemma zu lösen, erlaubten die Regelhüter 2011 erstmals den Kipp-Flügel. Um das Überholen nicht zu einfach zu machen, wurde eine Einschränkung erlassen: Der Flügel darf nur an einer Stelle – meist die längste Gerade – flach gestellt werden. Und das auch nur, wenn der Jäger der Beute in einem ebenfalls definierten Bereich zuvor bis auf eine Sekunde nah gekommen war. Klingt kompliziert? Ist es auch. Die Fahrer können sich aber eine simple Faustregel merken: Bloß keinen Rivalen auf weniger als eine Sekunde rankommen lassen! Hinter dem, was in Suzuka nach einem stupiden Rundenabspulen aussieht, verbirgt sich deshalb weit mehr: Es ist ein Belauern, Manövrieren, Sich-in-Stellung-Schieben. Es ist Auto-Schach. 2,5 Sekunden, 2,6, dann 2,7, schließlich 2,8: In den Runden 12, 13, 14, 15 steigt Sebastian Vettels Vorsprung auf Jenson Button. Danach dreht sich der Trend um: 2,4 Sekunden, 2,3, schließlich nur noch 1,6. Jenson Button setzt zum entscheidenden Zug an.
Eine Überraschung
Wahre Jagden sind selten zu erleben in der Formel 1. 2005 gab es so eine, in Imola, beim Großen Preis von San Marino. Zwölf Runden lang versuchte Michael Schumacher damals in seinem Ferrari an Fernando Alonso vorbeizukommen. Der Deutsche, damals schon 36, saß im schnelleren Auto. Aber Alonso, damals erst 23 und auf dem Weg zu seinem ersten Titel, hatte den Vorteil, voraus zu sein, die Linie wählen zu können. In mancher Ecke bremste er extra früh, um Schumacher den Schwung zu nehmen, er taktierte clever und leistete sich nicht die geringste Blöße. Im Ziel strahlte er als Sieger zu Recht: »Das war der beste Kampf, den ich je erlebt habe.« Ein so direktes Gegeneinander aber ist die Ausnahme. Meist offenbart erst das Datenstudium nach dem Rennen, wer wirklich geglänzt hat. Wer einen anderen übertölpelt hat, wie das glückte. Das beste Beispiel dafür ist Michael Schumachers Sieg 2004 in Magny-Cours. Nach seinem zweiten Boxenstopp beim Großen Preis von Frankreich offenbarte ihm Ross Brawn, damals Technischer Direktor der Scuderia Ferrari: Lass uns doch mal etwas probieren! Vier Boxenstopps. Mit so vielen hatte zuvor noch keiner einen Grand Prix gewonnen. Das Wagnis glückte. Die Daten verrieten nachher, dass Schumacher eine Runde nach der anderen mit der Entschlossenheit und der Konzentration wie in der Qualifikation gedreht hatte.
Auch 2011 in Suzuka sind nicht alle Finessen auf den ersten Blick zu erkennen. Selbst die Strategen am McLaren-Kommandostand, die schon viele Szenarien durchgespielt hatten, als die Startampel erlosch, sind überrascht, was sich in den Runden 19 und 20 ereignet. Zunächst biegt Sebastian Vettel an die Red-Bull-Box. Der Reifenwechsel dauert, mit An-und Abfahrt, 21,596 Sekunden. Eine Runde später ist Button dran. Er benötigt für den Service lediglich 20,713 Sekunden. Was aber noch wichtiger ist: Auf dem Weg zur Box ist ihm ein Kunststück geglückt. Die so genannte In-Lap ist eine besondere Runde. Wenn feststeht, dass die Reifen gewechselt werden, wenn die Mechaniker schon in die Positionen laufen, an denen das Auto kurz darauf mit Laser-Hilfe auf wenige Zentimeter genau parkt, kann der Fahrer alles aus den Gummiwalzen herausquetschen. Dann muss er keine Rücksicht mehr nehmen. Er kann voll attackieren, was allerdings ein Risiko birgt: Will er zu viel, kann der Wagemut auch schnell in einem Crash enden. Aber das Wagnis geht Button ein. Was bleibt ihm auch anderes übrig? Will er Sebastian Vettel noch abfangen, muss er jedes Rennen gewinnen. Ihr Duell an diesem Sonntag wird nicht nur von Fahr-und Strategie-Kunst geprägt, sie haben auch schlicht ein unterschiedliches Risiko-Management. Das spiegeln die Zeiten für ihre In-Laps wider: Button 1:41.587 Minuten, Vettel 1:42,940. Zusammen mit dem zügigeren Boxenstopp reicht das: Button schafft es knapp an Sebastian Vettel vorbei. »Das«, gibt selbst McLarens Technikchef Paddy Lowe zu, »hat uns alle
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