Pole Position: Sebastian Vettel - sein Weg an die Spitze (German Edition)
es dunkel wird, lässt Alonso den Wagen über die beleuchteten Straßen der Stadt fliegen, und danach ergreift er vor den vielen geladenen Gästen das Mikrofon und sagt: »Willkommen bei meinem neuen Team!«
Wenig später aber schon muss er erkennen, dass das nicht ganz stimmt. Es ist keinesfalls so, dass er das alleinige Sagen hat, im Zweifelsfall das bessere Material bekommt und selbstverständlich in den günstigsten Momenten auf die Strecke geschickt oder zum Boxenstopp einbestellt wird. Hamilton ist unerwartet stark. Er bietet ihm Paroli. Vor dem Ungarn-Grand-Prix, dem elften der 17 Saisonrennen, führt er die Fahrerwertung an. Hamilton 70 Punkte, Alonso 68. Ein Sieg in Budapest – und Alonso ist wieder vorne. Dafür aber ist ein guter Startplatz wichtig. Die Strecke bietet wenige Überholmöglichkeiten. Kurz vor Ende der Qualifikation geschieht dann nie Dagewesenes: Als an seinem McLaren MP 4-22 eineinhalb Minuten vor Ablauf der Qualifikation alle Reifen gewechselt sind und das Schild, mit dem die Piloten auf die Strecke gewunken werden, in die Höhe schnellt, fährt Alonso nicht los. Er wartet. So lange, bis er mit einem Blick über seine linke Schulter erkennt, wie ihm sein Physiotherapeut, der neben dem McLaren-Kommandostand steht, ein Zeichen gibt. Erst dann braust er davon. Die Aktion kostet den hinter ihm an die Box gerollten Hamilton rund zehn Sekunden – und, weil er es nicht mehr rechtzeitig auf die Strecke schafft, die Chance, die Pole Position zu ergattern. Hinter Alonso wird Hamilton Qualifikations-Zweiter. Was McLaren-Chef Ron Dennis von der Nummer hält, ist deutlich zu sehen: Er schleudert sein Funkgeräte weg und stellt Alonsos Masseur zur Rede. Die Geschichte hat ein Nachspiel: Die Rennkommissare bestellen alle Beteiligten zum Verhör ein. Anschließend tagen sie achteinhalb Stunden. Kurz vor halb zwölf in der Nacht wird ihr Urteil bekannt: Alonso wird auf den sechsten Startplatz strafversetzt. Das Team soll keine Punkte für die Konstrukteurswertung sammeln dürfen. Als Dennis das erfährt, greift er wütend zum Telefon und ruft Alonso an. Zu Ende ist die Geschichte damit aber noch nicht. Am nächsten Morgen wird sie noch wilder.
Spione im Fahrerlager
McLaren-Motorhome, Sonntagmorgen, Büro Dennis: Alonso tritt auf und droht. Er habe so einiges auf dem Laptop, was dem Team im schwebenden Spionageverfahren mit Ferrari schaden könne. Was genau, lässt er offen. Unmittelbar nach dem Gespräch ruft Teamchef Ron Dennis Max Mosley an, den Chef des Automobilweltverbandes FIA . Er berichtet ihm von dem Vorfall, versichert aber: »Es gibt gar nichts, was Alonso übergeben könnte.« All das ist äußerst heikel, weil es Bewegung in eine der größten Räuberpistolen bringt, die der Sport hervorgebracht hat. McLaren droht eine Verhandlung vor dem Berufungsgericht der FIA . In einem ersten Verfahren hat der Motorsportrat des Automobilweltverbands das Team am 26. Juli bereits schuldig gesprochen, weil es im Besitz von geheimen Ferrari-Unterlagen war. Auf eine Strafe hat der Rat aber verzichtet – weil nicht nachzuweisen war, dass das Wissen auch genutzt wurde. Kann Fernando Alonso anderes bezeugen, drohen drakonische Strafen bis hin zum WM -Ausschluss. Die Affäre ist pikant. Sie ist aber auch skurril. Ins Rollen kam sie, weil ein Angestellter in einem Copyshop in der Nähe von Woking sich wunderte, als ihm von einer Frau 780 Seiten übergeben wurden, auf denen recht deutlich stand, dass es sich um vertrauliche Ferrari-Unterlagen handelte. Er brannte die Seiten wie gewünscht auf zwei CD s, benachrichtigte vorsichtshalber aber auch den Rennstall in Italien, der daraufhin Anzeige erstattete. Kurz darauf gab es eine Hausdurchsuchung bei McLaren-Chefdesigner Mike Coughlan, dessen Frau Trudy den Copyshop aufgesucht hatte. Von den Original-Unterlagen war nicht mehr viel zu finden – die hatte das Paar geschreddert und im Garten verbrannt. Aber auf Computern ließ sich der verbotene Wissensfluss von Ferrari über Coughlan zu McLaren nachvollziehen. Seinen Ausgang genommen hatte der beim Ferrari-Angestellten Nigel Stepney. Elf Jahre lang hatte er neben Michael Schumacher treu für Ferrari gewirkt, erst als Chefmechaniker, später als Cheforganisator. Der Brite hatte sich bei der Umstrukturierung des Teams im Winter 2006 einen Aufstieg versprochen. Als der ausblieb, war er verbittert und sann auf Rache. Enttäuschung als Antrieb zum Verrat – es hatte etwas von einem Shakespear’schen Drama.
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