Pole Position: Sebastian Vettel - sein Weg an die Spitze (German Edition)
Wissen um Alonsos Auftritt im Büro von Dennis spielt dem Chef des Automobilweltverbandes einen Trumpf in die Hand. Mosley schreibt allen Fahrern und Teamchefs einen strengen Brief, in dem er sie auffordert, alles offenzulegen, was über den Spionagefall noch auf irgendwelchen Festplatten schlummert. Fernando Alonso antwortet, schriftlich und ausführlich. Anhand von E-Mails und SMS -Kurznachrichten zwischen ihm und Testfahrer Pedro de la Rosa ist nachzuvollziehen, dass Coughlan kein Einzeltäter war, dass das verbotene Ferrari-Wissen tief ins McLaren-Team einsickerte. Alonso und de la Rosa tauschten sich über die Gewichtsverteilung des Ferrari aus, über ein spezielles Gas in dessen Reifen, über ein besonders ausgeklügeltes Bremssystem der Konkurrenz. Ihre Korrespondenz belegt auch, dass sie wussten, wo all die vertraulichen Informationen herkamen: von Stepney. McLaren-Chef Ron Dennis verteidigt seine Firma bei der Berufungsverhandlung im September trotzdem leidenschaftlich – wobei er vielsagende Einblicke in das ganze Gewerbe gewährt. Sein Argument: McLaren habe nichts Ungewöhnliches getan. Jeder spioniere ständig bei allen anderen. Jeder verpflichte Fotografen, um andere Autos abzulichten. Kaum baumle ein Wagen am Abschlepphaken, machten sich die Ingenieure in allen Teams daran, anhand der Aufhängungspunkte die Gewichtsverteilung zwischen Vorder-und Hinterachse zu berechnen. Jahrelang sei zudem regelmäßig der Funkverkehr abgehört worden. Anhand von Onboard-Aufnahmen und anhand des Motorengeräusches würden von jedem Auto ständig die Drehzahlen und Geschwindigkeiten ermittelt. Es nützt alles nichts. Am 13. September verurteilt der Automobilweltverband das Team wegen Industriespionage zur Rekordstrafe von 100 Millionen Dollar. Es ist die Geschichte des Jahres. Sie stellt lange alles andere in den Schatten. Auch die ersten Runden des großen neuen Talents aus Deutschland.
Überrundungen
Sebastian Vettels Start mit Toro Rosso verläuft unspektakulär. In Budapest wird er von Startplatz 20 aus unter den Augen von Dietrich Mateschitz 16. Seine größte Herausforderung: beim Überrundetwerden den anderen nicht im Weg zu sein. Liuzzi darf als 16. los, fällt aber wegen eines Elektronikdefektes aus. Beim nächsten Rennen, dem Türkei-Grand-Prix in Istanbul, läuft es ähnlich. Liuzzi pflegt einen anderen Fahrstil als Sebastian Vettel; sich bei der Abstimmung des ungewohnten Autos an ihm zu orientieren, führt auf den Holzweg: Sebastian Vettel startet als 18., wird wieder überrundet und lediglich 19. Für Liuzzi läuft es auch nicht viel besser: Auch er ist im Ziel als 15. eine Runde zurück. Lange darf er daraufhin nicht mehr für Toro Rosso fahren. Das Team gibt bekannt, dass er 2008 abgelöst wird, von Sébastien Bourdais, einem Franzosen, der hervorragende Referenzen mitbringt: In der amerikanischen Champ-Car-Serie ist er auf dem Weg zu seinem vierten Titel.
Es sind Tage, in denen sich die Vorteile zeigen, dass Sebastian Vettel nicht in einem Top-Team begonnen hat: Er kann in Ruhe reifen. Von Toro Rosso erwartet niemand tolle Resultate. Bleiben sie wie in Ungarn und in der Türkei aus, ist das kein Drama. Der Austausch des Teamkollegen zieht ebenfalls keine Schlagzeilen nach sich. Streikt das Auto, wie es in Spa und beim Saisonfinale in Brasilien der Fall sein wird, stellt niemand die Frage, ob das auch am Fahrer liegen könnte. Die wichtigste und gleichzeitig am schwierigsten aufzubauende Qualität eines Profisportlers bleibt damit unerschüttert: das Selbstbewusstsein. Mehr noch: Wenn es gut läuft, steht bei Toro Rosso allein der Fahrer im Mittelpunkt. Auch das tut dem Selbstvertrauen gut.
Und nach dem zweiten Rennen geht es ja spürbar bergauf. Vor dem Großen Preis von Italien besteht die Möglichkeit, auf der Strecke im Königlichen Park von Monza zu testen. Sebastian Vettel nimmt sie ausgiebig wahr. An zwei Tagen absolviert er mehr als drei Grand-Prix-Distanzen. Es ist sein eigentliches Ankommen. Im Auto. Beim Team. An den Rennwochenenden herrscht Hektik. Jeder Moment ist verplant. Testtage sind anders. Nicht kontemplativ, aber intimer. Es ist ein anderes Kennenlernen. Die Mannschaft von Toro Rosso ist übersichtlich: Rund 160 Mitarbeiter bereiten in Faenza die Autos vor, die sie von der Red-Bull-Fabrik aus England bekommen. Toro Rosso baut zu jener Zeit wenig selbst. Das hilft, Geld zu sparen. Den Autos von Red Bull konnte Toro Rosso 2007 selten gefährlich werden, erst in Monza blitzt diese
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