Pole Position: Sebastian Vettel - sein Weg an die Spitze (German Edition)
zuspitzt: »Im Film ›Ben Hur‹ gibt es eine Szene, in der die Sklaven gepeitscht werden, damit ihr Schiff so schnell wie möglich wird, um beim Aufprall auf den Gegner so viel Schaden wie möglich zu verursachen. Das Gleiche gilt für ein Formel-1-Team. In der entscheidenden Phase willst du so gut wie möglich sein, und alles, was deinen Rhythmus durcheinanderbringt, stört.« Es gibt viele Mittel, Unruhe zum Gegner zu tragen. Seine Fahrer zu verunsichern, ist eines. Martin Whitmarsh, der Nachfolger von Ron Dennis an der McLaren-Spitze, tut das nach dem nächsten Rennen im Sommer 2010, dem Großen Preis von Belgien. Die Gelegenheit dazu bietet ihm ein weiterer Fehler von Sebastian Vettel. 1. Mark Webber/161 Punkte, 2. Lewis Hamilton/157, 3. Sebastian Vettel/151, 4. Jenson Button/147 – so lautet die Reihenfolge an der Spitze der Fahrerwertung, bevor es in Spa-Francorchamps rundgeht. Oder, mit anderen Worten: McLaren gegen Red Bull. In der Qualifikation ist Red Bull vorne. Mark Webber steht auf dem besten Startplatz, Lewis Hamilton neben ihm. Ein Stück zurück folgen Sebastian Vettel und Jenson Button. Die Duelle setzen sich im Rennen fort. Wobei es vor allem das zweite in sich hat. Button beschädigt sich gleich auf den ersten Metern seinen Frontflügel. Er kann deshalb nicht ganz so schnell fahren wie sein Teamkollege Hamilton, der nach einem schlechten Start von Mark Webber an der Spitze davonstürmt. Stück für Stück kommt Sebastian Vettel Button näher. In Runde 16 hat er sich bis auf wenige Zentimeter an ihn herangearbeitet. Die letzte Schikane, bevor es auf die Start-und Zielgerade geht, heißt in Spa »bus stop«. Als Button an der Bushaltestelle bremst, verliert Sebastian Vettel, der ihm im Windschatten folgt, die Kontrolle über sein Auto. Er hat auf einer Bodenwelle gebremst. Der Red Bull bohrt sich in die Flanke des McLaren. Dampf steigt auf. Button scheidet aus, Sebastian Vettel muss in die Box, um eine neue Nase für sein Auto zu holen. Er fällt weit zurück und beendet das Rennen als Fünfzehnter weit jenseits der Punkteränge. Bei Button entschuldigt er sich für den Crash noch am Abend telefonisch. Damit, glaubt er, sei der Vorfall abgehakt.
Aber das ist nicht so. Es folgt ein Musterbeispiel für psychologische Kriegsführung in diesem Sport. Martin Whitmarsh spricht nach dem Rennen nicht nur über die McLaren-Fahrer. Er spricht auch über Sebastian Vettel: »Er macht es sich allmählich zur Gewohnheit, andere aufzuspießen«, sagt der McLaren-Chef. »Er ist so ein Netter, aber er ist noch auf einer Lernkurve. Wenn du um den Titel fährst, darfst du so eine Aktion nicht machen.« Manchmal genügt schon ein Wort als Steilvorlage für Schlagzeilen, die verunsichern. Whitmarsh prägt in Spa so ein Wort. Er nennt Sebastian Vettel ein »Crash-Kid«. Die Sun macht daraus gleich einen »Crash-Kid-Dummy«. Niki Lauda empfiehlt Sebastian Vettel in einer Fachzeitschrift, über den Besuch bei einem Psychologen nachzudenken. Es sind Tage, an denen sich viele dunkle Wolken über Sebastian Vettel zusammenbrauen. Die Fehler haben ihn verletzlich gemacht. Auch Mark Webber wittert das. Nach dem zweiten Platz in Belgien kommt er auf 179 Punkte, die WM -Führung übernimmt Lewis Hamilton mit 182 Zählern. Sechs Rennen stehen noch aus. Sebastian Vettel ist mit 151 Punkten schon gehörig zurück. Was das für den weiteren WM -Verlauf bedeute, wird Webber vor der Abreise aus Spa gefragt. Seine Antwort: »Jetzt kommt es darauf an, wie hungrig wir sind.« Ob er sich eine andere Herangehensweise wünscht als das McLaren-Team, das beide Fahrer gleich behandelt? »Noch ist es dafür vielleicht zu früh«, sagt Webber, »aber viel fehlt mir nicht mehr, würde ich sagen.« Deutlicher lässt sich die Nummer-eins-Rolle im Rennstall kaum einfordern.
Regelkunde
Die Saison 2010 ist eine besondere Formel-1-Saison. Wegen des Gedränges an der Spitze. Fünf Fahrer, die um den Titel kämpfen – das ist eine Rarität. Die Saison ist aber noch aus einem anderen Grund bemerkenswert: Weil sie ein Beispiel dafür liefert, wie flexibel die Regeln sind, wie sich manche Grundsätze im laufenden Betrieb erst klären. Oder auch einmal ändern. Die Rennkommissare haben Ferrari am Hockenheimring wegen des vom Kommandostand aus angeregten Platztausches von Felipe Massa und Fernando Alonso zwar bestraft, aber endgültig ist der Fall damit nicht entschieden. Das Ad-hoc-Gericht verwies die Frage, was ein Team seinen Fahrern vorgeben darf, an
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