Polgara die Zauberin
Stadt senkte.
Ich landete unbeobachtet in einer stillen Ecke des Hofs und nahm meine wahre Gestalt an. Dann glitt ich um die äußere Ecke des mit Steinplatten gepflasterten Hofs, näherte mich dem reich verzierten Palasttor, ›ermunterte‹ die Wachen, ein kleines Nickerchen zu halten, und ging hinein.
Mein Vater hat mir wiederholt den Gedanken eingeschärft, daß es Zeiten gibt, wenn wir in der Gegenwart anderer unbedingt unauffällig bleiben müssen, und er hat sich viele Wege ausgedacht, um das zu bewerkstelligen. Meine Lieblingsmethode besteht darin, ein Gefühl von Vertrautheit um mich herum zu verbreiten. Es ist überaus subtil. Die Leute sehen mich an, ohne mich richtig wahrzunehmen. Sie sind davon überzeugt, mich zu kennen, können sich aber nicht mehr an meinen Namen erinnern. Im gesellschaftlichen Umgang kann das sehr nützlich sein. Ich verschmelze praktisch mit dem Hintergrund.
Kathandrion hatte mir mitgeteilt, daß die Asturier einen ›ausländischen Dialekt‹ sprächen. Deshalb drückte ich mich so lange in einem langen, spärlich beleuchteten Gang herum, bis eine Schar farbenfroh gekleideter Höflinge, sowohl Männer als auch Frauen, vorbeikam. Ich schloß mich ihnen an und hörte genau zu, wie sie sich unterhielten. Mir fiel auf, daß die Asturier den ›hohen Stil‹ verworfen hatten und sich statt dessen in einer etwas normaleren Sprache verständigten. Asturien grenzte auf der einen Seite an das Große Westmeer und hatte aus diesem Grund wesentlich mehr Beziehungen zu fremden Ländern als Wacune oder Mimbre. Die Menschen hier strebten danach, ›modern‹ zu sein, und so ahmten sie ziemlich sklavisch die Sprechweise jener Fremden nach, mit denen sie in Kontakt kamen. Unglücklicherweise waren viele dieser Fremden Seeleute, und Seeleute sind vermutlich nicht die beste Quelle sprachlicher Eleganz. Ich hoffte ernsthaft, daß die flatterhaften jungen Damen in der Gruppe die Bedeutung einiger der Worte und Ausdrücke, die ihnen so munter über die Lippen kamen, nicht vollständig erfaßten.
Weil jeder der drei arendischen Herzöge nach Höherem, sprich königlichen Würden strebte, besaßen ihre Paläste allesamt einen ›Thronsaal‹. Vo Astur bildete da keine Ausnahme. Die Gruppe von Edelleuten, der ich mich angeschlossen hatte, betrat die zentrale Halle, die hier diesen Zweck erfüllte. Ich entfernte mich unauffällig von ihnen und bahnte mir einen Weg durch die leicht angeheiterte Menge zum vorderen Teil der Halle.
Über die Jahre hinweg hatte ich Gelegenheit, Trunkenheit in all ihren Ausprägungen zu beobachten, und dabei sind mir gewisse Unterschiede aufgefallen. Ein Mann, der zuviel Bier oder Ale genossen hat, ist ungehobelter als einer, der voll des guten Weins ist und diejenigen, die Hochprozentiges bevorzugen, neigen zu offener Gewalttätigkeit. Die Asturier bevorzugten Wein, und Weintrinker kichern entweder oder weinen in ihre Gläser. Der arendische Hang zur Dramatik machte sie melancholisch. Eine Zechgesellschaft in Asturien ist eine hochtraurige Angelegenheit, etwa vergleichbar mit einer Beerdigung in einer regnerischen Winternacht.
Oldoran, der asturische Herzog, war ein schmächtiger, verlotterter kleiner Mann und offensichtlich bereits im Stadium fortgeschrittener Betrunkenheit. Er lümmelte trübsinnig auf seinem Thron, einen Ausdruck tiefsten Leidens auf dem aufgedunsenen Gesichtchen. Ein Mann in einem tolnedrischen Mantel in einem unangenehmen Gelbton stand unmittelbar neben seinem rechten Ellbogen. Er beugte sich häufig herunter, um dem Herzog etwas ins Ohr zu flüstern. Vorsichtig schickte ich einen Gedanken auf die Suche, und der farbliche Eindruck, den ich von dem vorgeblichen Tolnedrer erhielt, war nicht rot. Es schien, als hätte ich es mit einem weiteren Murgo zu tun.
Die nächsten Stunden verbrachte ich damit, in der Halle auf und ab zu schlendern und Gesprächsfetzen zu belauschen. Mir wurde schnell klar, daß Herzog Oldoran nicht sonderlich geachtet wurde. »Besoffenes kleines Wiesel« war vermutlich das Freundlichste, was mir über ihn zu Ohren kam. Darüber hinaus wurde mir klar, daß Oldoran völlig unter dem Einfluß des falschen Tolnedrers an seiner Seite stand. Obwohl ich ziemlich genau wußte, daß ich diese spezielle Verbindung kappen konnte, sah ich beim besten Willen nicht ein, welche Vorteile mir das einbringen sollte. Oldorans Ansichten konnte ich wahrscheinlich ändern, Oldoran selbst jedoch nicht. Er war ein kleingeistiger, sich in Selbstmitleid
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