Polgara die Zauberin
gehört hatte, ließ die Annahme, daß die meisten Edelleute am Hof diesen Wunsch teilten, schon fast zur Gewißheit werden. Mein einziges Problem im Augenblick war die Wahl eines geeigneten Ersatzes – und ein Mittel, ihn in verhältnismäßig kurzer Zeit zu finden.
Ich hielt ein kurzes Schläfchen in einem unbenutzten Empfangsraum und begab mich früh am nächsten Morgen in die zentrale Halle zurück, um irgend jemanden nach der klugen, dunkelhaarigen jungen Dame zu befragen, die so geistreich die Schweigeminute vorgeschlagen hatte. Ich beschrieb sie den Dienern, welche die Abfälle des zurückliegenden Abends beseitigten.
»Das müßte Gräfin Asrana sein, Mylady«, teilte mir ein ernst dreinblickender Hausknecht mit. »Sie ist bekannt als Herzensbrecherin und sehr gescheit.«
»Das ist sie«, sagte ich. »Ich glaube, wir wurden vor ein paar Jahren miteinander bekannt gemacht, und dachte mir, ich erneuere die Bekanntschaft einmal. Wo könnte ich sie denn antreffen?«
»Ihre Gemächer befinden sich im Westturm, Mylady, im Erdgeschoß.«
»Danke«, sagte ich leise, gab ihm eine kleine Münze und machte mich auf die Suche nach dem Westturm.
Die Gräfin war etwas unpäßlich, als ihre Zofe mich in das Zimmer führte, in dem sie mit trüben Augen und einem kalten, nassen Tuch auf der Stirn auf einem Diwan ruhte. »Ich glaube nicht, daß ich Euch kenne«, verkündete sie mir mit dramatischem Tonfall.
»Fühlt Ihr Euch nicht wohl?« erkundigte ich mich.
»Ich fühle mich heute morgen etwas unpäßlich«, gestand sie. »Ich wünschte, es wäre Winter. Dann würde ich in den Hof hinausgehen und meinen Kopf für mindestens eine Stunde in die nächste Schneewehe stecken.« Dann musterte sie mich genauer. »Aus irgendeinem Grund kommt Ihr mir schrecklich bekannt vor.«
»Ich glaube nicht, daß wir schon das Vergnügen hatten, Gräfin.«
»Nein, nicht, daß wir uns begegnet wären, das glaube ich nicht. Nein, es ist etwas, was ich zufällig gehört habe.« Sie preßte die Fingerspitzen gegen ihre Schläfen. »Oh, du liebe Güte«, stöhnte sie.
»Wir müssen uns unterhalten, Asrana«, erklärte ich, »aber zunächst kümmere ich mich wohl besser um Euer wertes Befinden.« Ich öffnete das kleine Retikül, das ich bei mir trug, und holte eine Glasphiole hervor. Den Inhalt leerte ich in ein Glas, das auf einem Beistelltischchen stand, und füllte es mit Wasser auf. »Es schmeckt nicht gut«, warnte ich.
»Geht es mir danach besser?«
»Das sollte es.«
»Dann kümmert es mich wirklich nicht, wie es schmeckt.« Sie trank es und schüttelte sich. »Das ist ja grauenhaft«, sagte sie. »Seid Ihr Ärztin?«
»Ich habe eine gewisse Ausbildung auf diesem Gebiet erhalten«, gab ich zu.
»Was für eine merkwürdige Beschäftigung für eine Dame von Stand«, wunderte sie sich. Sie berührte ihre Stirn. »Ich glaube, es wird wirklich besser.«
»Das sollte es auch, Gräfin. Sobald die Tinktur, die ich Euch gerade verabreicht habe, ein bißchen besser wirkt, möchte ich gern etwas mit Euch besprechen.«
»Ich verdanke Euch mein Leben, liebe Lady«, verkündete sie übertrieben. »Trotzdem glaube ich nach wie vor, Euch zu kennen.« Dann verzog sie ein wenig das Gesicht. »Natürlich kommen mir an Morgen wie diesem jede Menge komischer Ideen.« Sie schüttelte leicht den Kopf. »Erstaunlich!« sagte sie. »Mein Kopf ist nicht abgefallen. Ihr könntet hier in Vo Astur ein Vermögen mit dieser Tinktur verdienen, wißt Ihr das? Vermutlich fühlt sich jeder im Palast so schlecht, wie ich mich noch vor kurzem gefühlt habe. Was immer Ihr mir gegeben habt, es wirkt Wunder. Ich glaube, ich lebe jetzt wirklich. Das grenzt ja an Zauberei!« Sie hielt plötzlich inne und schaute mich an, als sehe sie mich zum ersten Mal. Dann begann sie zu zittern. »Es war Zauberei nicht wahr?«
»Nein, Liebes. Nicht wirklich.«
»O doch, es war Magie! Ihr habt diese weiße Locke im Haar, und Ihr seid Ärztin. Ihr seid Polgara die Zauberin, nicht? Ihr seid Belgaraths Tochter.«
»Ich sehe, mein schreckliches Geheimnis ist gelüftet«, seufzte ich mit gespieltem Bedauern.
»Ihr seid eine Million Jahre alt!«
Ich berührte meine Wange. »Sieht man das schon so deutlich, Asrana?«
»Selbstverständlich nicht Lady Polgara«, gab sie zurück. »Ihr seht nicht einen Tag älter als hunderttausend aus.« Dann lachten wir beide, und sie zuckte zusammen. »Das war noch ein wenig voreilig für das hier oben«, merkte sie an, während sie sachte ihre Stirn berührte. »Bitte
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