Polgara die Zauberin
einen zweiten. »Dies ist meine Gemahlin«, stellte er sie mir vor.
»Hallo, Polgara«, sagte sie. »Wo hast du die Samenkörner gefunden? Meine Jungen sind sehr hungrig.«
»Sie müssen da oben auf dem Hügel an meinem Ärmel hängengeblieben sein«, vermutete ich.
»Warum gehst du nicht hoch und siehst nach?« schlug sie vor, während sie unverfroren auf meiner Schulter landete. Der erste Spatz folgte dem Beispiel seiner Brutgefährtin und ließ sich auf meiner anderen Schulter nieder. Völlig verblüfft angesichts dieses Wunders drehte ich mich um und machte mich wieder auf den Weg, diesmal den grasbewachsenen Hügel hinauf.
»Du bist nicht gerade schnell, oder?« bemerkte der erste Spatz kritisch.
»Ich habe keine Flügel«, entgegnete ich.
»Das muß schrecklich beschwerlich sein.«
»Ich komme immer dahin, wo ich hin will.«
»Sobald wir diese Samen gefunden haben, stelle ich dich einigen der anderen vor«, erbot er sich. »Meine Gemahlin und ich werden eine Weile damit beschäftigt sein, die Jungen zu füttern.«
»Könnt ihr wirklich mit anderen Vogelarten sprechen?« Das war eine aufregende Vorstellung.
»Nun«, sagte er entschuldigend, »so in etwa. Die Lerchen versuchen immer, sehr poetisch zu sein, und die Rotkehlchen schwätzen zuviel, und außerdem versuchen sie immer, sich vorzudrängeln, wenn ich irgendwo Futter finde. Auf Rotkehlchen könnte ich verzichten. Sie sind ziemliche Raufbolde.«
Und dann glitt eine Wiesenlerche herbei und schwebte über meinem Kopf. »Wes Weges, Geselle?« fragte sie meinen Spatzen.
»Dort hinauf«, antwortete der, und wies mit dem Kopf den Hügel hinauf. »Polgara hat da oben ein paar Samenkörner gefunden, und mein Weibchen und ich haben Junge zu füttern. Warum unterhältst du dich nicht mit ihr, solange wir unseren Geschäften nachgehen?«
»Wohl denn«, erklärte die Lerche sich bereit. »Meine Gattin weilet noch auf unseren Eiern und wärmet sie mit der Glut ihres Leibes, so daß mir hinreichend Zeit bleibet, um unserer Schwester hier den Weg zu weisen.«
»Da ist ein Korn!« zwitscherte das Spatzenweibchen aufgeregt und glitt von meiner Schulter herunter, um es sich zu holen. Ihr Gatte erblickte ein zweites, und die beiden flogen gemeinsam fort.
»Mich dünket, als seien Spatzen zuweilen über Gebühr erregbar«, merkte die Lerche an. »Wohin führt dein Weg, Schwester?«
»Das überlasse ich dir«, antwortete ich. »Aber ich würde gern noch andere Vögel kennenlernen.«
Und das war der Anfang meiner vogelkundlichen Bildung. An jenem Morgen traf ich alle möglichen Arten von Vögeln. Die hilfsbereite Lerche führte mich herum und stellte mich vor. Ihre ziemlich lyrischen Ausführungen zu den einzelnen Gattungen erwiesen sich als erstaunlich zutreffend. Wie ich bereits erwähnte, vermittelte sie mir, daß Spatzen geschwätzig und leicht erregbar sind. Rotkehlchen charakterisierte sie als eigenartig aggressiv, um dann hinzuzufügen, daß sie dazu neigten, dieselben Dinge immer und immer wieder zu sagen. Eichelhäher schreien viel. Schwalben geben an. Krähen sind Diebe. Geier stinken. Kolibris haben die Klugheit nicht mit Löffeln gegessen. Wenn der Durchschnittskolibri sich zum Nachdenken gezwungen sieht, verwirrt ihn das so, daß er vergißt, wie man in der Luft stehenbleibt. Eulen sind nicht ganz so weise, wie ihr Ruf es vermuten läßt, und meine Führerin bezeichnete sie ziemlich geringschätzig als ›fliegende Mausefallen‹. Möwen haben eine grotesk übersteigerte Auffassung von ihrem eigenen Stellenwert im Universum. Die gewöhnliche Möwe bringt einen Großteil ihres Lebens damit zu, so zu tun, als sei sie ein Adler. Normalerweise hätte ich im Tal überhaupt keine Möwen zu Gesicht bekommen, aber der stürmische Wind hatte sie landeinwärts getrieben. Die verschiedenen Wasservögel verbringen fast genausoviel Zeit mit Schwimmen wie im Flug, und sie sind sehr stammesbewußt. Enten und Gänse interessierten mich nur am Rande. Sie sind wohl ganz hübsch, aber ihre Stimmen gehen mir stets durch Mark und Bein.
Die Raubvögel sind die Aristokraten unter unseren gefiederten Freunden. Die zahllosen Falken haben, was von ihrer Größe abhängt eine verwirrende Hierarchie, und den absoluten Gipfel des Vogeltums krönt der Adler.
Den Rest des Tages über unterhielt ich mich mit den verschiedenen Vögeln, und gegen Abend hatten sie sich so gut an mich gewöhnt daß einige von ihnen sich wie mein frecher Spatz und seine Gattin tatsächlich auf meine Schultern hockten.
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