Polgara die Zauberin
Vögel, und wir unterhielten uns. Wir lernten uns immer besser kennen, und sie brachten mir Neuigkeiten über das Wetter, Waldbrände und die seltenen Reisenden, die durchs Tal zogen. Meine Familie nörgelte die ganze Zeit an meinem Äußeren herum, aber den Vögeln schien das nichts auszumachen.
Jene von euch, die mich kennen, werden bezeugen, daß ich gelegentlich eine scharfe Zunge habe. Aufgrund meiner Liebe zu dem Baum und seinen gefiederten Bewohnern blieben meiner Familie jedoch jede Menge Ärger und Beleidigungen erspart.
Die Jahreszeiten gingen ins Land, und Beldaran und ich wuchsen zu unbeholfenen Füllen heran – nichts als Beine und Ellbogen. Und dann entdeckten wir eines Morgens, daß wir über Nacht zu Frauen geworden waren. Auf unserer Bettwäsche fand sich der ziemlich deutlich sichtbare Beweis für diese Tatsache.
»Sterben wir?« fragte mich Beldaran mit zitternder Stimme.
»Sag ihr, sie soll damit aufhören, Polgara!« vernahm ich Mutters scharfe Stimme. Das war etwas, was ich nie verstand. Mit mir sprach Mutter direkt, aber in Beldarans Geist drang sie nie ein. Ich bin sicher, es gab einen Grund dafür, aber Mutter kam nie dazu, es zu erklären.
»Was geschieht mit uns, Mutter?« fragte ich. Um ehrlich zu sein, ängstigte ich mich fast genauso sehr wie meine Schwester.
»Es ist ein ganz natürlicher Vorgang, Polgara. Es widerfährt allen Frauen.«
»Mach, daß es aufhört!«
»Nein. Es muß geschehen. Sag Beldaran, daß es nichts ist, worüber man sich aufregen muß.«
»Mutter sagt, es ist alles in Ordnung«, teilte ich meiner Schwester mit.
»Wie kann es denn in Ordnung sein?«
»Still! Ich versuche zu verstehen, was Mutter sagt.«
»Wag es nicht mir den Mund zu verbieten, Polgara!«
»Dann sei endlich still.« Ich richtete meine Aufmerksamkeit nach innen. »Du erklärst uns das wohl besser, Mutter«, sagte ich. »Beldaran steht kurz vor dem Platzen.« Ich hielt es für überflüssig zuzugeben, daß es auch mit meiner Selbstbeherrschung nicht zum Besten bestellt war.
Dann gab Mutter uns eine sachlichmedizinische Erklärung für die Blutflecken auf unserem Bettlaken, und ich übermittelte die Information weiter an meine zutiefst verstörte Schwester.
»Es wird jetzt für immer so weitergehen?« fragte Beldaran mit zitternder Stimme.
»Nein, nur ein paar Tage. Mutter sagt wir sollten uns dran gewöhnen, weil es jetzt jeden Monat passiert.«
»Jeden Monat?« Beldaran klang außer sich vor Wut.
»Ja, das sagt sie.« Ich setzte mich im Bett auf und sah zu Onkel Beldins Bett herüber – der Quelle lauten Schnarchens. »Laß uns das sauber machen, solange er noch schläft«, schlug ich vor.
»O gütiger Gott, ja!« pflichtete sie mir aus tiefster Seele bei. »Ich würde sterben, wenn er das hier erfahren würde.«
Ich bin mir ziemlich sicher, daß unser mißgestalteter Onkel mitbekam, was da vor sich ging, aber aus irgendeinem Grund kam es nie soweit daß er sich dazu äußerte.
Onkel Beldin hat ausführliche Theorien darüber aufgestellt wann die Mitglieder meiner Familie das entwickeln, was Vater ›Talent‹ nennt und er ist zu dem Schluß gelangt daß es sich mit dem Beginn der Pubertät erstmalig zeigt. Ich habe möglicherweise etwas mit diesem Schluß zu tun. Ich glaube, ich muß etwa zwölf gewesen sein. Es war ›die gewisse Zeit im Monat‹ für Beldaran und mich, und meine Schwester blies Trübsal. Ich hingegen war reizbar. Das alles war ja so lästig! Mutter hatte einmal erwähnt, daß nun, da Beldaran und ich eine bestimmte Reife erlangt hatten, ›etwas passieren‹ könnte, aber sie war ziemlich vage geblieben. Offenbar ist es notwendig, daß der erste Ausflug in der Ausübung unseres ›Talents‹ spontan geschieht. Fragt mich nicht warum, denn ich habe nicht die leiseste Ahnung für eine vernünftige Erklärung dieses Familienbrauchs.
Wenn ich mir die Umstände dieses ersten Vorfalls ins Gedächtnis rufe, sehe ich mich einen großen Sack Weizen zum Baum hinüberschleppen, um meine Vögel zu füttern. Ich murrte vor mich hin. Im Verlauf der Jahre war es soweit gekommen, daß meine Vögel sich völlig auf mich verließen und offenbar nicht darüber erhaben waren, meine Großzügigkeit auszunutzen. Wenn man ihnen nur die kleinste Gelegenheit dazu gibt neigen Vögel wie alle Lebewesen zur Faulheit. Nicht daß es mir etwas ausgemacht hätte, sie zu füttern, aber mir wollte es scheinen, als schleppte ich Tag für Tag mehr Weizensäcke vom Turm der Zwillinge zum Baum.
Als ich am Baum
Weitere Kostenlose Bücher