Polgara die Zauberin
ursprünglichen Gestalt. Sein Gesichtsausdruck wirkte aufgewühlt »Ich brauche dich, Pol!« sagte er eindringlich.
»Auch ich habe dich einmal gebraucht, erinnerst du dich noch?« versetzte ich, ohne nachzudenken. »Du schienst nicht sehr interressiert zu sein. Nun entgelte ich dir deine Mühe. Geh weg, Vater!«
»Dafür haben wir jetzt keine Zeit Pol. Wir müssen sofort zur Insel der Winde. Gorek schwebt in Gefahr.«
»Wer ist Gorek?«
»Hast du denn überhaupt keine Ahnung von dem, was jenseits deines Gartenzauns vorgeht? Hast du dich völlig von der Außenwelt abgeschottet? Du kannst deinen Verpflichtungen nicht aus dem Weg gehen, Pol. Du bist immer noch die, die du bist und du kommst jetzt mit mir auf die Insel der Winde, und wenn ich dich mit meinen Klauen packen und dorthin tragen muß.«
»Droh mir nicht alter Mann. Wer ist dieser Gorek, um den du dich so grämst?«
»Er ist der rivanische König, Pol, der Hüter des Orb.«
»Die Chereker patrouillieren mit ihren Schiffen auf dem Meer der Stürme, Vater. Keine Flotte der Welt kann sich an ihren Schiffen vorbeimogeln.«
»Die Gefahr droht nicht von einer Flotte, Pol. Außerhalb der Stadtmauern von Riva gibt es eine Handelsenklave. Das ist die Quelle der Gefahr.«
»Bist du verrückt geworden, Vater? Warum hast du Fremde auf der Insel erlaubt?«
»Das ist eine lange Geschichte, und wir haben jetzt keine Zeit, sie von Anfang an zu erzählen.«
»Wie hast du diese mutmaßliche Gefahr entdeckt?«
»Ich habe gerade einen Absatz des Mrinkodex entschlüsselt.«
Das fegte all meine Zweifel beiseite. »Wer steckt dahinter?« fragte ich.
»Salmissra, soweit ich es beurteilen kann. Sie hat Agenten in dieser Enklave, und die haben den Befehl erhalten, den rivanischen König und seine gesamte Familie umzubringen. Wenn ihr das gelingt, gewinnt Torak.«
»Nicht, solange noch ein einziger Blutstropfen in meinen Adern fließt. Ist das wieder so eins von Ctuchiks Spielchen?«
»Möglich, aber für Ctuchik eigentlich zu subtil. Es könnte Urvon oder Zedar sein.«
»Das werden wir später herausfinden. Wir vergeuden Zeit, Vater. Laß uns zur Insel fliegen und den Spuk beenden.«
K APITEL 25
Der kürzeste Weg zur Insel der Winde führte über Ulgoland. Die meisten vernünftigen Menschen vermieden diese Route, aber dies war ein Notfall, und zudem flogen Vater und ich ja auch Tausende von Fuß über den Jagdgründen Algroths, Hrulgins und Eldrakyn. Unsere flüchtige Begegnung mit Harpyien allerdings, kurz bevor wir über Prolgu flogen, war höchst verdächtig. Soweit ich es beurteilen kann, war dies das einzige Mal, daß jemand sie überhaupt zu Gesicht bekam. Ihre halbmenschliche Gestalt läßt sie viel gefährlicher aussehen, als sie es in Wirklichkeit sind. Ein menschliches Gesicht zeugt nicht zwangsläufig auch von menschlicher Intelligenz, und das Fehlen eines Schnabels macht sie zu zweitklassigen Raubvögeln. Vater und ich flogen ihnen ziemlich mühelos aus dem Weg und weiter in Richtung Westen.
Das erste Licht der Morgendämmerung färbte den östlichen Horizont, als wir über Camaar flogen. Wir waren beide am Rande der Erschöpfung, doch mit grimmiger Entschlossenheit flogen wir weiter über die bleigrauen Wellen des Meeres der Stürme. Meine Schwingen brannten vor Schmerz, aber ich zwang mich zum Durchhalten. Wie Vater es schaffte, weiß ich wirklich nicht, denn er fliegt nur höchst selten. Manchmal überrascht Vater mich.
Wir überflogen den Hafen von Riva, und mein Blick fiel auf die abweisenden Wehrgänge und Mauern der Halle des rivanischen Königs, als Mutters Stimme in meinem Kopf schrillte. »Pol! Da unten – im Hafen!«
Ich sah nach unten und entdeckte etwas, das ein Stückchen vom kiesbedeckten Strand entfernt herumplanschte.
»Es ist ein kleiner Junge, Pol. Er ertrinkt!«
Ich dachte gar nicht erst nach. Die Gestalt mitten in der Luft zu wechseln, ist keine sonderlich gute Idee. Wenn man von der einen in die andere Gestalt verschwimmt, ist man einen Augenblick lang völlig desorientiert. Aber wie das Glück es wollte, schaute ich noch immer auf das Wasser herab, nachdem ich mich meiner Federn entledigt hatte. Mit dem Kopf voran und angespanntem Körper wappnete ich mich gegen die Wucht des Aufpralls auf der Wasseroberfläche. Der Schlag wäre wesentlich schlimmer gewesen, wäre ich höher geflogen, doch auch so preßte er mir beinahe die Luft aus der Lunge.
Mein Kopfsprung ließ mich tief in das eiskalte Wasser eintauchen, aber ich krümmte mich und
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