Polgara die Zauberin
erwachsen zu werden, und ich brauchte Zeit, um mich an meine neue Aufgabe zu gewöhnen. Er war etwa zwölf und kam gerade in den Stimmbruch, als ihm eine überraschend scharfsinnige Idee kam. »Weißt du, was ich gerade denke, Tante Pol?«
»Was denn, Liebes?«
»Ich beschäftige mich schon die ganze Zeit damit, und mir will es scheinen, als ob du und Großvater und unsere Onkel außerhalb von Zeit und Welt existieren, in der wir anderen Menschen leben. Es ist beinahe, als lebtest du irgendwo anders – nur daß es gleichzeitig auch hier ist.«
Ich legte mein Buch beiseite. »Red weiter, Geran«, ermunterte ich ihn.
»Diese andere Welt, in der ihr lebt, ist um uns, die anderen, herum, nur daß wir sie nicht sehen können. Dort herrschen auch andere Regeln. Ihr müßt alle Tausende von Jahren leben, und ihr müßt lernen, Magie zu benutzen, und ihr müßt eine Menge Zeit damit zubringen, alte Bücher zu lesen, die niemand von uns verstehen kann. Dann, alle paar Jahrhunderte einmal, müßt ihr in unsere Welt hinaus und den Königen sagen, was sie tun sollen, und dann müssen sie es tun, ob es ihnen gefällt oder nicht. Na ja, ich wunderte mich nur, warum. Warum brauchen wir zwei Welten? Warum nicht einfach eine einzige? Dann habe ich es begriffen. Es ist sogar noch komplizierter, als ich gedacht hatte, denn es sind nicht nur zwei, sondern drei Welten. Die Götter leben in einer Welt – da draußen zwischen den Sternen –, und gewöhnliche Menschen wie ich leben hier in dieser Welt, wo nie etwas besonders Ungewöhnliches passiert. Du und Großvater und die Onkel, ihr lebt in einer dritten – der Welt, die zwischen derjenigen der Götter und derjenigen der gewöhnlichen Menschen liegt. Ihr lebt da, weil ihr unsere Verbindung zu den Göttern seid. Die Götter sagen euch, was getan werden muß, und ihr gebt die Anweisungen an uns weiter. Ihr lebt ewig, und ihr könnt magische Sachen machen und in die Zukunft schauen und all das, weil ihr dazu auserwählt wurdet, in dieser speziellen Welt zwischen den Göttern und dem Rest von uns zu leben, damit ihr uns in die richtige Richtung leiten könnt. Klingt das einigermaßen sinnvoll, Tante Pol?«
»Sehr sinnvoll, Geran.«
»Das war noch nicht alles.«
»Das dachte ich mir fast.«
»Torak ist auch da draußen in der Welt der Götter, und er hat Leute in dieser Zwischenwelt leben, die wie du und die anderen sind.«
»Ja. Man nennt uns Jünger. Toraks Jünger sind Urvon, Ctuchik und Zedar.«
»Ja. Ich habe von ihnen gelesen. Wie dem auch sei, Torak denkt, daß eine Sache geschehen wird, und unsere Götter glauben, daß es etwas anderes sein wird.«
»Das faßt es ziemlich genau zusammen, ja.«
»Dann ist der Krieg der Götter also nie wirklich zu Ende gegangen, nicht wahr?«
»Nein. Er dauert noch an.«
»Wer wird gewinnen?«
»Das wissen wir nicht.«
»Tante Pol!« stieß er hervor, und ängstliche Empörung schwang in seiner Stimme mit. »Deine ganze Bibliothek ist voll von diesen Prophezeiungen, und du weißt trotzdem nicht, wer gewinnen wird? Aber irgendein Buch da drin muß es uns doch klar und deutlich sagen!«
Ich machte eine Handbewegung in Richtung der Bücherregale. »Falls ja, steht es irgendwo dazwischen. Fühl dich frei, darin herumzustöbern. Und laß es mich wissen, wenn du es findest«
»Das ist nicht fair!«
Ich lachte und zog ihn impulsiv an mich. Er war so ein lieber, ernsthafter kleiner Junge!
»Nein, das ist es nicht, nicht wahr?« brummte er.
Ich mußte noch mehr lachen.
Gerans sechzehnter Geburtstag rückte näher. Mir wurde klar, wenn das Geschlecht des rivanischen Königs nicht aussterben sollte, mußte ich ihn jetzt mit in die Welt hinausnehmen, damit er sich eine Frau suchen konnte. Ich machte mir viele Gedanken darüber, wo er wohl gern leben würde, und Sulturn erschien mir als der geeignete Ort. Mutter war indes anderer Ansicht. »Nein, Pol«, erreichte mich ihre Stimme eines Nachts, »nicht Sulturn, Muros.«
»Warum Muros?«
»Weil dort die junge Dame lebt, die er heiraten wird.«
»Wer ist sie?«
»Sie heißt Eldara.«
»Das ist ein algarischer Name.«
»Das ist doch wohl klar, Pol. Schließlich ist ihr Vater Algarer. Er heißt Hattan, und er ist der zweite Sohn eines Klanhäuptlings. Er hat eine sendarische Frau geheiratet, als sein Klan eine Viehherde nach Muros trieb. Dort ließ er sich nieder und ist Viehhändler geworden. Er hat Verbindungen zu allen algarischen Klans, und deshalb ist er sehr wohlhabend. Schaffe Geran nach Muros, Pol.
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