Polgara die Zauberin
Jahre.«
»So lange? Wird es den Leuten draußen nicht langweilig? Können sie denn nicht sehen, daß sie nicht reinkommen?«
»Es sind Soldaten, Gelane. Manchmal brauchen Soldaten mit dem Denken etwas länger als normale Menschen.«
»Du magst keine Soldaten, nicht wahr, Tante Pol?«
»Sie sind in Ordnung – als Einzelwesen. Erst wenn du sie zu einer Armee zusammenklumpst, geben sie ihren Verstand am Kasernentor ab. Ich möchte, daß du sehr, sehr vorsichtig bist, Gelane. Laß dich nicht blicken, und bleib nicht vor offenen Fenstern stehen. Einer der Gründe für Toraks Anwesenheit hier ist, daß er dich umbringen will.«
» Mich? Warum mich? Was habe ich ihm denn getan?«
»Es geht nicht darum, was du getan hast, Gelane; es geht darum, was du irgendwann in der Zukunft tun könntest. «
»Oh?«
»Du – oder dein Sohn oder der Sohn von deinem Sohn oder irgendeiner in der langen Reihe von Söhnen, die von dir abstammen – wird Torak töten. Wenn er dich jetzt umbringt, muß er sich darüber keine Sorgen mehr machen.«
Da begannen seine Augen zu leuchten. »Dann hole ich mir jetzt besser ein Schwert und fange an zu üben«, erklärte er begeistert.
»Du liebe Güte«, sagte ich. Ich hatte meinen Fehler erst erkannt, als es schon zu spät war. Erzählt einem kleinen Jungen nie, und ich meine nie, etwas von Heldenmut. Er sollte nicht einmal wissen, was das Wort bedeutet, bis er wenigstens zwanzig ist. »Gelane«, beschwor ich ihn geduldig, »du bist erst sechs Jahre alt. Im Augenblick könntest du ein Schwert nicht einmal aufheben, geschweige denn schwingen. Ich sage dir jetzt, was du tun kannst. In der Südostecke des Labyrinths in der Mitte der Feste liegt ein großer Haufen Steine.«
»Ja, ich habe ihn gesehen.«
»Das Beste, was du tun kannst, ist, dir einen von diesen Steinen zu holen und ihn nach oben auf die Brustwehr der Feste zu tragen. Und von da kannst du ihn den Angarakanern unten vor den Wällen auf den Kopf schmeißen.«
»Ich wette, das würde ihnen gar nicht gefallen, nicht wahr?«
»Nicht besonders, nein.«
»Und was mache ich dann, Tante Pol?«
»Dann holst du dir noch einen Stein.«
»Diese Steine sehen schrecklich schwer aus.«
»Ja, nicht wahr? Aber genau darum geht es, Gelane. Schwere Gegenstände aufzuheben ist eine gute Methode, deine Muskeln zu stählen. Und du wirst sehr stark sein müssen, wenn du dich auf einen Schwertkampf mit Torak einläßt.«
»Wie lange dauert das – ich meine, starke Muskeln zu kriegen?«
»Oh, ich weiß nicht – sechs oder acht Jahre vielleicht. Oder auch zehn.«
»Vielleicht könnte ich statt dessen lernen, mit Pfeil und Bogen zu schießen.«
»Das könnte noch interessanter sein. Paß auf deine Mutter auf, Gelane. Ich werde von Zeit zu Zeit vorbeischauen, um zu sehen, wie du mit deinen Schießkünsten vorankommst.«
»Ich werde ganz viel üben, Tante Pol«, versprach er.
Ich hoffe, ihr habt euch eifrig Notizen gemacht. Das Zauberwort im Umgang mit kleinen Jungen ist ›Ablenkung‹. Verbietet ihnen nichts. Vermiest es ihnen. Jungenhafte Begeisterung schwindet proportional zu dem erforderlichen Aufwand an Schweiß.
Vertraut mir. Ich habe mich lange genug damit beschäftigt.
Vater und ich verließen die Feste mit dem ersten Lichtschimmer am nächsten Morgen und flogen westwärts nach Camaar. Wir verbrachten die Nacht in unserem altbekannten Gasthof und flogen nach Riva weiter, um die alornischen Könige zusammenzurufen. Dann segelten wir in einer Flottille cherekischer Kriegsschiffe nach Süden.
Ran Borune empfing uns höchstpersönlich am Kai, und das allein war äußerst ungewöhnlich. Die augenblickliche politische Lage war indes sehr undurchsichtig, und so wich Ran Borune von seinem üblichen Weg ab, um die manchmal etwas heiklen alornischen Könige nicht von vornherein vor den Kopf zu stoßen. Ich mochte Ran Borune. Er war, wie alle Mitglieder der Borunefamilie, ein kleiner Mann. Vaters Einführung der dryadischen Linie in das Borunergeschlecht hatte einige ziemlich sonderbare Züge hervorgebracht. Eine reinrassige Dryade zum Beispiel würde niemals ein männliches Kind zur Welt bringen, aber ihre kleine Statur vererbte sich auf die Männer der Familie. Selten trifft man auf einen männlichen Boruner, der mehr als fünf Fuß mißt.
Um keine tolnedrischen Empfindlichkeiten zu verletzen, bewegten Vater und ich uns am Rande einer direkten Lüge, indem wir unsere südlichen Verbündeten zu der Annahme verleiteten, die Namen Belgarath und Polgara seien in Wahrheit
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