Polgara die Zauberin
so etwas wie erbliche Titel, die über Generationen hinweg weitergegeben würden, um die leichtgläubigen alornischen Monarchen zu beeindrucken. Man sagte mir, daß eine ganze Unterabteilung des Geschichtsinstituts der Universität von Tol Honeth uns jahrelang Studien gewidmet habe. Sie gelangten schließlich dahin, eine Genealogie dieser geheimnisumwitterten Familie zu erstellen, die in den Königreichen des Nordens über solche Macht verfügt. Die Herzogin von Erat beispielsweise firmiert dort als Polgara VII., wohingegen ich während der angarakanischen Invasion als Polgara LXXXIII. geführt wurde.
Ich bin mir nicht sicher, ob es diese Unterabteilung immer noch gibt. Falls ja, gälte ich dort augenblicklich als Polgara CXVII.
Ist das nicht beeindruckend?
Der Kaiser wurde von seinem Oberkommandierenden, General Cerran, begleitet. Cerran war ein Anadile, ein Angehöriger einer südtolnedrischen Familie, die den Borunern stets eng verbunden war. Mit Cerran hatten wir großes Glück, denn der Mann war ein taktisches Genie. Er war ein untersetzter, nüchterner Bursche mit schweren Schultern und nicht dem kleinsten Bauchansatz, wie ihn Männer in den Fünfzigern so gerne entwickeln.
Die alornischen Könige waren vor einigen Wochen in Tol Honeth eingetroffen, und wir schlossen uns ihnen an und strömten den Hügel zum kaiserlichen Palast hinauf. Ran Borune eröffnete uns, daß uns die Kaiserliche Kriegsakademie für unsere strategischen Besprechungen zur Verfügung stände. Es war ein geeignetes Gebäude, aber die Hauptsache war, daß dort sämtliche Landkarten vorrätig lagen. Eine Nation, die über tausend Jahre lang Straßen gebaut hat, verfügt logischerweise über eine Menge Karten. Vermutlich könnte man, wenn man möchte, in der Kriegsakademie eine Karte finden, auf der die genaue Lage des eigenen Hauses angezeigt ist.
Obwohl wir in der Kaiserlichen Kriegsakademie arbeiteten, wohnten wir doch in den verschiedenen alornischen Botschaften. Zwar hatten wir keine Geheimnisse, aber Gäste im kaiserlichen Palast schienen stets Begleiter zu haben. Ich vermeide es bewußt, das Wort ›Spione‹ in den Mund zu nehmen, aber ich denke, ihr habt mich verstanden.
Vaters gekonnte Andeutungen, der drasnische Geheimdienst, selbst in seinem augenblicklich desolaten Zustand nach der angarakanischen Invasion, übermittle uns die Nachrichten, die wir in Wahrheit aus anderen Quellen erhielten, eröffneten den Tolnedrern einen eleganten Weg, die Augen vor Dingen zu verschließen, denen ins Gesicht zu blicken sie nicht in der Lage waren. Ein Tolnedrer wird für seinen unverrückbaren Glauben, daß es so etwas wie Magie nicht gebe, geradezu lachhafte Anstrengungen auf sich nehmen. Es ist manchmal ein bißchen lästig, aber wir haben mit der Zeit gelernt, alle gefährlichen Klippen zu umschiffen. Tief in unserem Inneren wissen wir alle, daß es reine Ausflüchte sind, aber solange wir so tun, als glaubten wir daran, sind die Beziehungen zu den Tolnedrern ungetrübt.
Als deshalb Onkel Beldin in Tol Honeth eintraf, um über die Vorgänge im südlichen Cthol Murgos Bericht zu erstatten, gaben wir ihn einfach als drasnischen Spion aus. Da Beldin ohnehin beträchtliche Erfahrung im Spionieren hat, vermochte er die Rolle zufriedenstellend zu spielen. Besonders interessant fand General Cerran Onkels Bericht über das Zerwürfnis zwischen Ctuchik und Urvon. »Offensichtlich ist die angarakanische Gesellschaft nicht so monolithisch, wie es scheint«, sinnierte er.
»Monolithisch?« schnaubte Beldin. »Weit entfernt, General. Hätte Torak seine Faust nicht ganz fest um das Herz eines jeden seiner Anbeter gekrallt, würden sie sich mit Freuden gegenseitig abschlachten – was im übrigen derzeit in etwa in Cthol Murgos geschieht.«
»Wenn wir Glück haben, gewinnen vielleicht beide Seiten«, äußerte ChoRam.
»Im Licht dieses murgosischen Abscheus vor den Malloreanern – wie lange wird Urvon Eurer Einschätzung nach brauchen, seine Armee durch das südliche Cthol Murgos zu bewegen, Meister Beldin?« erkundigte sich Cerran.
»Mindestens ein halbes Jahr«, antwortete Beldin achselzuckend. »Ich denke, wir können darauf zählen, daß die Murgos den Marsch abwechslungsreich gestalten.«
»Das beantwortet zumindest eine Frage.«
»Ich vermag Euch nicht ganz zu folgen, General.«
»Euer Freund hier – und natürlich seine liebreizende Tochter – haben uns davon unterrichtet, daß dieser Kerl, der sich Kal Torak nennt, eine mächtige religiöse
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