Polgara die Zauberin
in dieser Nacht versagt hatte.
»Ich hatte keine Wahl«, erklärte Vater. »Dieser Narr hat mir das Baby zugeworfen. Wir können hier nichts mehr tun, Pol. Laß uns aufbrechen.«
Ich bückte mich und hob den Kleinen zärtlich hoch. Ich schlug die Decke zurück und sah zum erstenmal ins Gesicht des Göttertöters. Es war ein ziemlich gewöhnliches Gesicht, aber die ganze Welt schien sich zu drehen, als ich in diese verträumten blauen Augen blickte. Eines Tages mochte er einen Gott erschlagen, aber in diesem Augenblick war er nur ein schläfriges Waisenkind. Ich preßte ihn an mein Herz. Ihn würde Chamdar nur über meine Leiche bekommen.
»Ich vermute, wir überlegen uns besser einen Namen für ihn«, sagte Vater. »Die Leute könnten anfangen zu reden, wenn wir ihn ›Göttertöter‹ rufen.«
»Sein Name lautet Garion, Vater. Das haben Ildera und ich schon vor Monaten entschieden.«
»Garion? Nicht schlecht, denke ich. Woher hast du den Namen?«
»Ildera hatte einen Traum. Vermutlich hat jemand von oben seine Hand im Spiel. Sie eröffnete mir, sein wahrer Name werde ›Belgarion‹ lauten, wir sollten ihn aber Garion nennen, bis er groß wäre.« Ich stählte mein Herz. »Chamdar wird sich für eine Menge verantworten müssen, nicht wahr?«
»O ja, das wird er«, antwortete Vater mit steinharter Stimme. »Und ich werde persönlich dafür sorgen, daß er mindestens eine Woche Zeit hat, um sich zu rechtfertigen. Was ist mit Alara?«
»Sie ist auch tot, Vater. Sie stürzte von einer Klippe. Wir müssen sie auf dem Weg aus der Stadt begraben.«
»Ich erhöhe auf zwei Wochen!« knirschte er. »Gewiß wird mir etwas einfallen, wie ich ihn so lange am Leben halten kann.«
»Gut!« sagte ich. »Ich bringe Garion in Sicherheit. Du verfolgst Chamdar. Mach dir Notizen, Vater. Ich will jede Menge Einzelheiten hören, wenn du mir Bericht erstattest.« Ich empfand denselben wilden Rachedurst wie mein Vater.
»Nein, Pol«, widersprach Vater bedauernd. »Zuerst muß ich euch beide in Sicherheit bringen. Unsere oberste Pflicht gilt diesem kleinen Bündel. Mit Chamdar befasse ich mich, wenn ich euch beide in Sicherheit weiß.«
Wir ließen das mittlerweile in sich zusammenstürzende Haus hinter uns und folgten der schneebedeckten Straße am Steinbruch entlang, um uns dann durch die Bäume bis zum Fuß jener Klippe durchzuschlagen, von der Alara zu Tode gestürzt war. Wir konnten nichts anderes tun, als Steine über ihr aufzuschichten, ja wir konnten nicht einmal ihr Grab kennzeichnen. Aber ihr Grabstein ist in meinem Herzen, und ich bin sicher, daß er immer dort bleiben wird.
Vater stahl eine Mutterziege von einem einsamen Gehöft, und ich fertigte eine Babyflasche. Die kleine Ammenziege schien Garion zu mögen und hätte vermutlich nichts dagegen gehabt, ihn zu säugen. Ich hätte das aber als ungehörig empfunden. Die Ziege hielt mich wahrscheinlich für dumm, aber über die Jahrhunderte haben Ziegen vermutlich gelernt, mit der Dummheit der Menschen zu leben. Vater und ich blieben auf unserer Reise ins Tiefland im Wald, und er verwischte sorgfältig unsere Spuren im Schnee. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich die Spuren im Schnee gelassen und zusätzlich Signalfeuer angezündet, um Chamdar oder einen seiner Grolims anzulocken. Ich war sehr rachsüchtig zu diesem Zeitpunkt und wollte wirklich gerne ein paar Grolims töten.
Wir mieden die Straßen und nächtigten in Höhlen oder unter entwurzelten Bäumen. Es dauerte mehrere Tage, bis wir die Vorberge erreichten, dort kamen wir auf eine ziemlich gut befahrene Straße nahe des Dorfes Hintergralt. Wir gingen jedoch nicht in den Ort hinein, sondern zogen weiter zu meinem Haus am Ufer des Eratsees, dem Ort, an dem ich stets Zuflucht suche, wenn meine Welt in Scherben gegangen ist.
Wie immer, wenn ich lange Zeit fort gewesen bin, war das Innere des Hauses kalt und staubig. Ich machte Feuer im Küchenherd, während Vater nach draußen hinter das Rosendickicht ging, um sich mit den Zwillingen zu unterhalten.
Zitternd kam er zurück. Gehorsam stampfte er an der Tür den Schnee von seinen Füßen und warf einen sehnsüchtigen Blick zu meinem glühenden Herd hinüber.
»Mach dir keine Hoffnungen«, sagte ich zu ihm, »du mußt noch die Ziege melken. Sie ist im Stall. Füttere sie gut.«
»Könnte ich nicht ganz kurz –?«
»Nein, Vater. Jetzt bist du auf und in Bewegung, und ich weiß, wie schwer es dir fällt, dich aufzuraffen, wenn du dich einmal irgendwo niedergelassen hast. Tu erst
Weitere Kostenlose Bücher