Polizei-Geschichten
und zielte.
Der aufwirbelnde Rauch ließ ihn im ersten Augenblick
das Resultat seines Schusses nicht erkennen, aber die her-
beispringenden Zeugen ließen ihn nicht lange darüber in
Zweifel. Die Kugel war in den Unterleib gedrungen und
hatte wahrscheinlich die Eingeweide verletzt. Auch ließ
das geringe Blut, welches aus der Wunde floß, auf eine ge-
fährliche innere Blutung schließen. Der Arzt legte sogleich
einen ersten Verband an, deutete aber zugleich an, daß
dem Anscheine nach wenig Hoffnung vorhanden sei.
Der jüngere Bruder erklärte jetzt, bleich und entsetzt
über diesen Ausgang, daß er seine Sache ein anderes Mal
ausmachen wolle. Arthur hatte während der Anstalten um
den Verwundeten, seine Pistole in der Hand, still und ru-
hig an einem Baum gestanden. Bei dieser Erklärung trat er
vor und sagte spöttisch:
„Ein ander Mal? Da werde ich nach gegenwärtigem Vor-
fall wohl auf der Festung sitzen. Wenn Sie jedoch heute
die versprochene Satisfaktion nicht geben wollen, so mag
es auch gut sein.“ —
Der Andere ergriff jetzt krampfhaft die Pistole des Ver-
wundeten und forderte seinen Sekundanten mit aufgereg-
ter Stimme auf, zu laden. Dann traten die Beiden unter
denselben Bedingungen auf die Mensur, Arthur kaltblütig
und gefaßt, sein Gegner bleich, mit geschlossenen Lippen
und vor Wuth zitternder Hand. Beide Gegner schritten
diesmal im Kommando auf einander los, langsam, bis an
die Barriére. Hier standen sie nur fünf Schritte von ein-
ander entfernt. Jeder richtete den Blick forschend auf den
Andern, und die Waffen senkten sich gleichzeitig in die
Schlußlage. Einen Moment lang sahen die Zeugen mit
ängstlicher Spannung sie also verderblich sich gegenüber
stehen, den Einen kalt, mit festem, sicherem Blick, den
Andern blaß, mit loderndem Auge; — dann sprühten die
Blitze zwischen ihnen, und Beide wankten getroffen zu-
rück. Arthur hatte den Schuß in den Oberarm erhalten,
von wo sich die Kugel, ohne einen Knochen zu verletzen,
in den Rücken gedrängt hatte. Bei W. war die Kugel mitten
durch die Brust gegangen.
Eine Stunde darauf lief die Nachricht von diesem Vor-
fall durch die ganze Stadt. Der jüngere W. war bereits auf
dem Platze verschieden, der ältere starb noch in der fol-
genden Nacht in den Armen seines verzweifelnden Vaters.
Gegen Arthur wurde eine Kriminaluntersuchung eingelei-
tet, deren Ergebniß war, daß er nach seiner vollständigen
Genesung auf fünf Jahre nach der Festung kam.
In einem Verlauf von fünf Jahren ändert sich Vieles, und
derjenige, welcher nach einem solchen Zeitraum, ohne
Verbindungen unterhalten zu haben, in seine Heimath zu-
rückkehrt, sucht Manches vergebens, was er einst blühend
und hoffnungsvoll verlassen, und findet eben so viel Neues,
dem er fremd ist.
Auch Arthur empfand die ganze Bitterkeit dieses Ein-
drucks, als er sich einsam und fremd nach fünf Jahren in
seiner Heimathstadt wiederfand. Sein Vater war im Ge-
fängniß gestorben. Sein und der Seinigen Schicksal hatte
die geistige Kraft des sonst so starken Mannes gebrochen,
und die Krankheit seiner Seele sowie der Aufenthalt in dem
feuchten, dumpfigen Kerker auch den Nerv seines Lebens
zernagt. Die Aerzte, die er ganz zuletzt erst erhalten, hat-
ten aufs Eindringlichste freie Bewegung und Veränderung
seines Aufenthalts verordnet, aber der Instruktions-Rich-
ter wollte davon nichts wissen. Als es den Bemühungen
der Aerzte dennoch gelang, vom Obergericht den Befehl
zu erwirken, daß der Gefangene in seinem eigenen Hause
bewacht werden solle: mußte der Untersuchungs-Richter
zwar der Weisung für den Augenblick Folge leisten, allein
er sendete sogleich einen Bericht an das Ministerium, in
Folge dessen der Direktor des Obergerichts aus *** ver-
setzt wurde und der Gefangene wieder seinen Kerker
beziehen mußte. Hier starb er bald darauf, ohne daß es
in seiner Sache zu einem Urtheil gekommen wäre, und
Arthur war eine Waise. Auch seinen Freund Eduard fand
er nicht mehr. Der blühende Jüngling war das Opfer eines
hitzigen Nervenfiebers geworden, als er eben sein Staats-
examen in glänzender Auszeichnung bestanden hatte.
Arthur fühlte sich einsam und unsäglich verlassen, und
heimathlos in dem lebendigen veränderten Treiben dieser
Todtenstadt seines Glücks; — aber in seinem Innern lebte
noch Ein Gedanke mit ungebrochner Kraft, Ein Gedanke,
der in der Zeit seiner langen Trübsal eher gestärkt worden
war.
An
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