Polizei-Geschichten
derselbe hinter sein und Charlottens Ge-
heimniß gekommen sei. Der neue Freund Aurelio’s war ein
bleicher junger Mann, von leidendem Aussehen und stil-
lem Wesen. Er mochte wohl jünger sein, als sein Aeußeres
schließen ließ, aber Leiden und harte Erfahrungen hatten
ihn, wie er selbst sagte, früh mürbe gemacht. Er hatte sich
an Aurelio so angeschlossen, wie das in gewissen Jahren
zu geschehen pflegt, und der Kunstreiter nahm die Zunei-
gung des Fremden ebenso, oder wie einen Tribut auf. Der
Fremde hatte ihn bald auch auf seinem abendlichen Gange
begleitet, und stand während des Zusammenseins der bei-
den Verliebten auf Wache. Allmählig hatten Aurelio und
der Fremde ausführlicher und ernster über dies Verhältniß
gesprochen. Als nach einem solchen Gespräch der Fremde
gesagt hatte: „Ein Mann wie Sie findet überall seine Stel-
lung“, und Aurelio darauf erwiederte: „Ja, aber wie soll ich
von hier dahin kommen?“ sagte der Erstere, daß er zu je-
derzeit Pässe verschaffen könne, und fügte dann hinzu:
„Uebrigens wäre es dann hohe Zeit, denn wer weiß,
wenn der Alte uns über den Hals kommt!“ —
Eines Abends standen die beiden Liebenden wieder an
der Gartenmauer und Aurelio mußte von Scheiden gespro-
chen und dem Mädchen Vorwürfe gemacht haben, denn als
der Mond eben aufging, beleuchtete er ihr thränenfeuchtes
Antlitz. Darauf hatte sie angefangen, von seinem Pferde zu
sprechen. Aurelio klopfte dem schönen Thiere den Hals
und sagte, daß es ganz sanft sei: ob sie nicht einmal versu-
chen wolle darauf zu reiten?
Das Mädchen zögerte einen Augenblick, stieg aber
dann vollends über die Mauer. Aurelio hob sie auf’s Pferd,
und führte dasselbe im langsamen Schritt umher.
Ganz am Ende der Mauer hatte der Fremde wieder Wa-
che gestanden. Als er das Mädchen jetzt auf dem Pferde
des Kunstreiters sitzen sah, verließ er seinen Posten, ging
nach der entgegengesetzten Seite der Mauer und horchte
an der Hausthür des Pensionats. Der Hausmann öffnete,
und der Fremde erzählte ihm etwas, worüber der Mann
sehr erschrack und sogleich die Treppe hinauf zu den Vor-
stehern lief.
Das Mädchen ritt unter den Bäumen an der Garten-
mauer noch auf und ab, als plötzlich die Hinterthür des
Pensionatgebäudes aufgerissen wurde und mehrere Leute
in den Garten stürzten. Das Mädchen faßte angstvoll den
Arm ihres Geliebten, und flüsterte ihm etwas zu, indem
sie über die Mauer zeigte. Der Kunstreiter schwang sich
hinter ihr in den Sattel und ritt rasch und leise um die
Mauer nach dem Haupteingang des Gebäudes. Hier traten
eben der Hausmann und mehrere andere Leute in lautem
Gespräch aus der Thür, und Charlotte hörte ihren Namen
in den Reden derselben nennen. Sie stieß einen leisen
Schrei aus und schmiegte sich fest an Aurelio an. Das volle
verrätherische Mondlicht fiel auf die Gestalt des Reiters
und der ihn umschlingenden Geliebten, und die Leute fuh-
ren überrascht zurück. Aurelio beugte sich mit einem hei-
ßen Kuß über das Mädchen, und gab seinem Pferde einen
Druck in die Seiten. —
— Ob es auch ihr Wille war? Und wäre sie wirklich
noch nicht dazu entschlossen gewesen, so konnte sie doch
jetzt nicht mehr zurück, nachdem man sie so überrascht
hatte. —
Das Pferd des Kunstreiters jagte mit den Beiden in ra-
sender Eile von dannen, und in wenigen Augenblicken war
auch der letzte Hufschlag des edlen Thieres in der stillen
Nacht verhallt.
Der Polizeidirektor W. gebrauchte noch das Bad. Das Aeu-
ßere dieses Mannes war durch seine letzten Schicksale
furchtbar zerfallen, und er glich dem unheimlichen Gei-
sterbild eines gequälten Gewissens. Das starre, glanzlose
Auge mit seinem ausdruckslosen Glasblick lag tiefer in den
Höhlen, die Falten um den Mund, die auf einen Rouè oder
Spieler hätten schließen lassen können, hatten sich breiter
gefurcht, und die Farbe seines Gesichts war fast bleiern
geworden. Dennoch glaubte er zu fühlen, daß das Bad sei-
ner Gesundheit wohl thue. Es war aber nur eine geistige
Ruhe, die Ruhe einer glücklichen Hoffnung, die ihn auf-
richtete, und keineswegs das Bad. Es war die Hoffnung auf
das Glück, nun bald seine Tochter an seiner Seite haben zu
können.
An einem Nachmittag saß der Polizeidirektor allein
noch an der Wirthstafel, als der Kellner ihm meldete, daß
ein Mann draußen sei, der ihn sprechen wolle. Da Nie-
mand weiter in dem Speisesaal saß, so befahl der
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