Polizei-Geschichten
geflohen
und verstoßen von Allen?
Das Verhältniß wurde immer lockerer, bis sie es zuletzt
ganz löste. Sie verließ ihn.
Dieser Schlag stürzte Heinrich vollends in die tiefste
Verzweiflung. Verachtet von seinen Freunden, verstoßen
aus der Gesellschaft, verlassen von seiner Geliebten, —
was blieb da noch vom Leben? Mehrere Tage lang ver-
schloß er sich in sein Zimmer und kämpfte mit düstern,
verzweiflungsvollen Gedanken. In der Nacht vom dritten
auf den vierten Tag nach Empfang des Scheidebriefs hallte
ein Schuß in seinem Zimmer und schreckte die Hausbe-
wohner aus dem Schlaf. Als sie seine Thür erbrachen, fan-
den sie ihn im Blut schwimmend. Er hatte sich eine Kugel
durchs Herz geschossen.
Der Polizeidirektor W. war nach diesem neuen Unglücks-
fall in seiner Familie von einer heftigen Krankheit ergrif-
fen worden, über deren Verlauf in der Stadt sehr seltsame
Gerüchte umliefen. Daß er bei seiner Rekonvalescenz um
Entlassung von seinem Amte nachsuchte, diente gerade
dazu, diesen Gerüchten noch einen besondern Halt zu
leihen. Arthur war kurz nach dem Vorfall abgereist, Nie-
mand wußte wohin. Da er wenige Bekannte besaß und
sich auch von diesen Wenigen in der letzten Zeit ferner
gehalten hatte, so kümmerte sich auch Keiner darum und
bald war er vergessen.
Von seinen vier Kindern war dem Polizeidirektor W.
jetzt nur eines, seine Tochter Charlotte geblieben, welche
sich zur Zeit in einer rheinischen Pensionsanstalt befand.
Als er wieder so weit hergestellt und auch auf sein wieder-
holtes Verlangen aus dem Staatsdienst entlassen worden
war, reiste er zuerst dorthin.
Er traf sein letztes Kind wohlbehalten und zur reifen
blühenden Jungfrau entfaltet. Mit der ganzen heißen
Liebe seines verwundeten Vaterherzens umschloß er das
schlanke, schöne Mädchen, und während die Thränen des
freudigen Wiedersehens mit denen einer schmerzlichen
Erinnerung sich mischten, rief er in seinem bangen Sinn:
„Nein! diesen einzigen, letzten Trost kann Er mir nicht
rauben wollen!“ —
Er fühlte, wie er dies liebliche Wesen jetzt mehr liebe,
als er je geliebt, aber immer tauchte dazwischen ein trüber,
ängstlicher Gedanke auf. Er konnte diese häßliche Ahnung
nicht los werden.
Nach nochmaliger Rücksprache mit den Vorstehern der
Anstalt, die des Lobes über Charlotten voll waren, beschloß
er nach dem Bade zu reisen, welches ihm die Aerzte ver-
ordnet hatten. Später, wenn die Saison vorüber war, wollte
er zurückkehren und seine Tochter mit sich nehmen.
Als er in den Wagen stieg, war eben vor dem Gast-
hof eine große Menge Volks versammelt, welche der Ein-
zug einer Truppe Kunstreiter in das Städtchen aus ihren
Häusern gelockt hatte. Der Wagen mußte des Gedränges
wegen noch einige Augenblicke halten, und der Reisende
betrachtete mit neugieriger Theilnahme den bunten Zug.
Vor allen lenkte ein junger Reiter die Augen der Menge
auf sich. Er tummelte sein Pferd mit ungewöhnlicher Gra-
zie und Kraft, sein schlanker, wohlgebauter Körper schien
mit dem schnaubenden Schimmel, den er fast ohne Zügel
beherrschte, in Eins verwachsen zu sein, und sein glän-
zendes schwarzes Auge überflog stolz die bewundernde
Menge. Auch der Reisende schien aus seinem Wagen die
männliche Schönheit des Reiterjünglings mit sichtlichem
Wohlgefallen zu betrachten.
Plötzlich aber fuhr er zurück.
Es war ihm, als habe er unter der Volksmenge zwei fun-
kelnde Augen auf sich gerichtet gesehen, einen Blick, der
ihm grauenvoll in ewiger Erinnerung stand. Als er aber
wieder hinsah, bemerkte er nur einige Weiber, welche dem
eben um die Ecke biegenden Zug noch nachblickten.
„Es ist Nichts!“ sagte er bei sich. „Wie sollte Er auch hieher-
kommen? Es war ein Traum meines unruhigen Herzens!“ —
In diesem Augenblick zogen auch die Pferde an, und der
Wagen rollte fort.
In einem kleinen Provinzialstädtchen ist die Ankunft einer
Reitertruppe wohl geeignet, das ganze Interesse des Publi-
kums in Anspruch zu nehmen. Gewiß war dies wenigstens
in A. der Fall, und in den ersten Tagen hörte man an al-
len Orten von keinem andern Gegenstande mehr sprechen.
Namentlich aber gab der junge Reiter, der schon beim Ein-
zug Aller Augen so gefesselt hatte, die meiste Veranlassung
zu schwärmerischer Theilnahme.
Auch die Pensionsanstalt, in der Charlotte sich befand,
sah sich durch das allgemeine Interesse bald genöthigt,
ihre Zöglinge jene Vorstellungen
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