Polizei-Geschichten
den letzten stärkenden Trost suchen. Arthur that
alle Schritte, ihren heißen Wunsch zu erfüllen, aber — es
war die erste Prüfung seiner Menschennatur! — seine
Bemühungen blieben fruchtlos.
Beim Beginn der demagogischen Untersuchungen
hatte man einen neuen Instruktions-Richter nach *** ge-
sandt, dem ein seltsamer Ruf vorangegangen war. Herr W.
war Justizbeamter in einem kleinen Provinzialstädtchen
gewesen und sollte als solcher sich einer Aktenfälschung
schuldig gemacht haben. Gewiß ist, daß auf Grund der dar-
über umlaufenden Gerüchte eine Untersuchung gegen ihn
eingeleitet wurde, im Lauf welcher einer seiner Unterbe-
amten sich das Leben nahm. Kurz darauf begann die Jagd
auf die sogenannten Demagogen und es wurden in diese
Angelegenheiten mehrere bedeutende, zur Opposition ge-
hörige Männer verwickelt. Zur selben Zeit begab sich Herr
W. nach der Residenz, angeblich um wegen des gegen ihn
verhängten Verfahrens persönlich eine Vorstellung zu ma-
chen, wie das Gerücht jedoch sagte: um über die Dem-
agogen-Untersuchung Winke und Mittheilungen zu geben.
Das Resultat seines Besuchs in der Residenz war, daß die
Untersuchung gegen ihn niedergeschlagen, er selbst als In-
struktions-Richter und Polizeidirektor nach *** gesendet
und ihm die Untersuchung in Sachen der demagogischen
Umtriebe daselbst übertragen wurde. In dieser Funktion
bewies er denn bald den thätigsten Eifer. Die Gefangenen
wurden mit der größten Strenge behandelt, abwechselnd
bald in häufige, lang anhaltende Verhöre genommen, bald
wieder erst nach unendlichen Zwischenräumen; es wurden
ihnen die gleichgültigsten, harmlosesten Briefe zur Erläu-
terung und Rechtfertigung von einzelnen, unbezüglichen
Stellen vorgelegt, andere Papiere dagegen, auf welche sie
sich beriefen, vorenthalten, und die peinliche Bewachung
ihrer Person ging so weit, daß ein Offiziant zugegen sein
mußte, wenn der Barbier sie bediente. Dabei sprach sich
die öffentliche Meinung dahin aus, daß es gerade die der
Regierung mißliebigen früheren Opponenten seien, gegen
welche W. am strengsten verfahre.
An diesen Mann wendete sich Arthur zuerst mit der
Bitte, seinen Vater auf einige Zeit zu der sterbenden Mut-
ter zu lassen. W. war ein großer hagerer Mann mit einem
langen, scharf markirten Gesicht. In seinen Zügen lag eine
todtenähnliche kalte Starrheit, welche durch die graue
Gesichtsfarbe, die seltsamen Falten um Augen und Mund
und den fast gläsernen Blick noch erhöht wurde. Als ihm
Arthur sein Anliegen vorbrachte, betrachtete er ihn mit sei-
nem eisigen glanzlosen Blick, daß dem jungen Mann fast
vor ihm graute, und sagte ruhig und ohne Ausdruck, daß
er dem Gefangenen eine solche Vergünstigung während
der Untersuchung nicht gestatten könne. Umsonst bat nun
Arthur, daß man den Vater wenigstens auf kurze Stunden
zu der Kranken lassen und jedesmal unter Bewachung bis
ins Haus und wieder zurück geleiten möge. Der Beamte
erhob sich wie verabschiedend von seinem Stuhl und ant-
wortete mit derselben langsamen Eintönigkeit, daß er das
weder gestatten könne noch wolle.
Arthur fühlte unter dem kalten, starr auf ihm ruhenden
Blick einen gährenden Zorn in sich wach werden, aber der
Gedanke an seine Mutter bewältigte ihn wieder, und er
sagte mit größerer Lebhaftigkeit, indem er bewegt einen
Schritt näher trat:
„Sie haben auch Kinder! Sie wissen, welches Leid in
dem Gedanken ist, aus dem Kreis der Seinen zu scheiden!
Um Ihrer Kinder willen denn: gönnen Sie einem Vater den
Trost, die Seinen noch einmal, bevor er zu spät kommt,
wiedersehn zu dürfen! Gönnen Sie einer Mutter, wenig-
stens im Kreis der Ihren zu sterben, damit Sie nicht selbst
in der Todesstunde verlassen sein mögen!“ —
Ueber die Züge des Beamten zuckte eine seltsame Re-
gung. Die Welt sagte, daß dieser starre, egoistische Mann
dennoch einen Rest menschlicher Gefühle habe, daß er an
seinen Kindern mit einer Liebe hänge, die man in diesem
hartherzigen, verschlossenen Sinn nicht ahne. Man wollte
zuweilen ein Bild häuslicher Glückseligkeit hier gesehen
haben, in welchem der tyrannische, freundlose Beamte mit
dem Ausdruck weiblicher Innigkeit im Kreis seiner Kinder
gesessen, — und doch gab ihm wiederum das Gerücht
Schuld an dem Tod seiner Frau. Sei es nun wirklich, daß
die bewegten Worte Arthurs eine Saite in seinem Innern
berührt hatten, sei es, daß er den Bittenden nur eine kurze
Hoffnung
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