Polizei-Geschichten
und angelegentliches Gespräch führte, hatte ein
Mädchen Brot, Käse und Branntwein gebracht. Schenk
goß die beiden Gläser mit jäher Hast hinunter und begann
gierig das Essen zu verzehren.
„Nun, das muß ich sagen,“ lachte Will Fischer, wieder
herantretend, „dein Appetit wenigstens hat bei Deinem
Leben nicht gelitten.“ —
Schenk nahm schweigend den Rest des Essens, wik-
kelte ihn in ein Stück Papier und steckte das Ganze sorg-
fältig in seine Tasche.
„Ich werde das meiner Frau bringen,“ sagte er dann halb
vor sich hin. „Sie wartet schon den ganzen Morgen, und es
ist doch etwas.“ —
„Deine Frau! So, so. Sagtest es ja auch zuvor schon.
Kenn’ ich sie vielleicht? Etwa eine Bekanntschaft von da-
mals, als wir zusammen — “
Schenk warf einen zornigen Blick auf seinen Nachbar
und stieß das leere Glas heftig auf den Tisch.
„Nun, ereifre Dich nicht!“ begütigte der Andere sogleich.
„War nur neugierig, wie es eigentlich mit Dir aussieht, seit
wir auseinander gekommen sind.“ —
„Wie im Himmel sieht’s bei uns aus, wie im Himmel,
Will,“ erwiderte Schenk mit wilder Bitterkeit, „wir essen
nicht und trinken nicht. Es ist ein herrliches Leben, man
genießt die ganze Schöpfung, man hört die Vögel singen,
man hat im Sommer die schöne Natur, im Winter das präch-
tige Eis, und braucht für Alles das gar Nichts zu bezahlen.
Ich erinnere mich, daß der Pfaffe mir früher sagte, es sei
eine Gnade Gottes, daß wir geschaffen würden und leben
dürften. Ich wollte das lange nicht einsehen, aber es ist
doch wahr, es liegt nur an dem Einzelnen selbst, wenn er
sich das Leben verkümmert. Das Leben ist doch umsonst,
wozu sich da plagen und Sorgen machen? Es kömmt am
Ende doch auf Eins heraus, ob man auf seidenen Kissen
oder allmählig Hungers gestorben ist.“ —
„Ich verstehe nicht, was Du da sagst,“ antwortete Will
Fischer. „Aber wenn Du schon verzweifelst, so thust Du
Unrecht. Ich weiß eben was für Dich, was Dich auf lange
Zeit herausreißen kann.“ —
„Will!“ rief der Handwerker plötzlich erregt.
„Laß mich los und mach’ keine Flausen. Kennst Du das
Landhaus drüben in Ch ***?“
„Ich habe einmal darin gearbeitet.“ —
„Desto besser. Es wollten ein paar tüchtige Kerle heut
Nacht Besuch drin machen, aber der Wirth erzählt mir, daß
sie’s verschieben müssen, weil ihrer zu wenig sind. Wenn
Du dabei sein willst, kannst Du Dein Schäfchen scheeren
und Deine Familie ins Trockne bringen.“ —
Schenk sah seinen Nachbar mit einem festen Blick an
und sagte dann langsam:
„Stehlen also. Ich hatte noch nicht daran gedacht, und
es liegt doch so nahe. Ich glaube, ich habe nicht einmal
Muth dazu.“ —
Der Polizeiagent schenkte die Gläser voll und erwiderte
verächtlich:
„Es gehört freilich weniger Muth dazu, mit Frau und
Kind zu verhungern. Uebrigens hätten sie Dich vielleicht
nur zur Wache gebraucht.“ —
„Wenn ich sagte, daß mir der Muth fehlte,“ versetzte
Schenk, „so meine ich, daß ich nicht die Kraft hatte, den
Gedanken zum Stehlen zu fassen. Es ist wahrhaftig weit
gekommen. Und doch ist es wahr, das Einzige bliebe mir
noch übrig. Ich werde mir’s überlegen, Will.“ —
Mit diesen Worten erhob er sich, fühlte in die Tasche,
ob er das Essen auch noch habe, und wendete sich nach
der Thüre.
„Wenn Du mir Bescheid bringen willst,“ rief Fischer ihm
nach, „so weißt Du, wo Du mich heut Abend findest.“ —
Schenk wanderte in trübsinnigem Brüten durch die engen
und schmutzigen Gassen des „schlechten Viertels,“ jener
Höhlen des Elends und des Verbrechens, wo die aus den
Kreisen der herrschenden Gesellschaft verstoßene Armuth
den Fluch ihres Daseins verbirgt.
In einer niedrigen, baufälligen Hütte kletterte Schenk
eine Stiege hinauf, und befand sich hier — unter dem
Dache — in der Behausung der Seinen. Bei dem Ge-
räusch, welches sein Eintreten verursachte, erhob in der
Ecke eine Frau ihren Kopf von dem Bettchen eines Kin-
des, wo sie dessen fieberhaften Schlaf belauscht hatte. Die
Kleidung dieser Frau war mehr als ärmlich, und in den lei-
denden von Gram entstellten Zügen ihres Gesichts waren
auch die letzten Spuren ihrer früheren Anmuth verloren.
Das Aussehen des Zimmers stimmte traurig mit dem Aus-
druck der Bewohner überein. Die Möbel bestanden außer
dem Bettchen des Kindes in einem Stuhl, einer Kommode,
welche zugleich die Stelle
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