Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
VHS-Videorecordern und Laminatböden ausstaffiert waren. Putzen schuf eine gesellschaftliche Ordnung, die das biographische
Chaos, das mit jeder Immigration verbunden war, zu heilen versprach. Mit jeder neuen, immer besser bezahlten Putzstelle und
mit jeder neuen, schnittigeren Karosse, die man sich per Ratenzahlung leistete, wurde für kurze Zeit das letztlich vergebliche
Begehren gestillt, irgendwann in der Bundesrepublik anzukommen.
»Niemals hätte ich geglaubt«, sagt meine Mutter, »daß ich in Deutschland putzen würde.« Ihre Schwester, Agata und Magda pflichten
ihr bei. Der Grund für ihre Putzbiographien ist schlicht. »Viele haben geputzt wegen der Kinder«, fährt sie fort. »Die meisten
aus unserer Generation kamen mit kleinen Kindern. In Polen gab es Krippen und Ganztagskindergärten mit Mittagessen. Viele,
die hierherkamen, wußten nicht, was sie mit den Kindern machen sollten. Ein paar Stunden putzen am Tag, das ging.«
Anders als die USA, anders als Frankreich, die skandinavischen Länder, Polen und die DDR hielt Westdeutschland an einem nostalgisch-pietistischen
Mutterbild fest: an einer Mutter, die möglichst lange und |50| allumfassend mit ihren Kindern eine symbiotische Einheit zu bilden habe. Arbeiten und gleichzeitig Kinder aufziehen, so der
Tenor, das war Verrat am Nachwuchs. Die sogenannte Kindergarten-Pisa-Studie der OECD kam zu dem Ergebnis, daß – man muß die
Zahl auf sich wirken lassen – genau für 2,7 Prozent aller westdeutschen Kleinkinder Hortplätze zur Verfügung stehen. Das anachronistische
Mutterbild der Deutschen gebar somit die »polnische Putzfrau«, denn ironischerweise fing ausgerechnet sie das Fehlen westdeutscher
Betreuungseinrichtungen auf. So schön schließen sich manchmal die Kreise.
»Es gibt heute nicht mehr viele Polen, die putzen«, erzählt Agata. »Ich habe zwar von den polnischen Pendlerinnen gehört,
die täglich nach Berlin kommen, um die Hauptstadt zu putzen, aber das sind doch nur noch die Reste. Die Polen sind ja auch
reich geworden.« Sie blickt in ihr leeres Bierglas. Flink nimmt sie zwei weitere Warsteiner aus dem Kühlschrank. Mit einem
kleinen schwarzen Feuerzeug hebelt sie die goldenen Kronkorken vom Flaschenhals. »Es sind jetzt die Russinnen«, sagt sie mit
leisem Schmunzeln. »Die letzte Aussiedlungswelle, die kam weiter aus dem Osten. Viele haben aber noch die Polinnen im Kopf,
wenn es ums Putzen geht.« Die »polnische Putzfrau« ist nur noch ein Mythos: die Wiederkehr des fast Immergleichen, eine alte
Melodie in immer neuen Variationen. Ich habe sie gehört, seit ich sechs war.
|51| Die »polnische Putzfrau« ist fester Teil des Niedlichkeitsrepertoires, das man seit je den Polen entgegenbrachte. Putzig,
wie die Polen zu viert im vollgepackten Fiat Polski zur Weinernte tuckerten; regelrecht süß, wie sie durch kleine Gaunereien
an Touristen im eigenen Land über die Runden kamen (und ein Jahr später dann plötzlich mit einem Audi 80 zur rheinischen Weinernte
gelangten). Man konnte lange Zeit mit dem Bild des verlotterten Polen mit mächtigem Oberlippenbart – wie Harald Schmidt in
seiner
Late-Night-Show
– brillante Fernsehquoten erzielen; ein wenig Sympathie verschmolz mit einer wohlwollenden Herablassung.
Seltsamerweise – ich beobachte diese Entwicklung mit wachsendem Erstaunen – klingt der Topos vom niedlichen Polen in jüngerer
Zeit etwas ab: wie ein angefaultes Klischee. Denn Deutsche und Polen kommen sich in den letzten Jahren interessanterweise
sehr nahe. Während jenseits der Oder das Wirtschaftswachstum seit 16 Jahren nahezu ungebrochen anhält, schmilzt hierzulande
der Wohlstand weg wie ein buntes Speiseeis in der Sonne. Die Polen stolz belächeln – mir scheint, man kann es hierzulande
nur noch gequält; man ist ja bald selbst schon der Pole. Der Kreis droht sich zu schließen. Es gibt neuerdings Tage, da belächle
ich Deutschland. Wohlwollend.
Doch noch lebt der Mythos von der polnischen Putzfrau. Noch fügt er sich in ein ostalgisch verklärtes, liebevoll gehegtes
Polenklischee. Mit dem Putzlappen in |52| der Hand verkörpert die polnische Putzfrau etwas angenehm Anachronistisches, erinnert sie doch an das verblaßte Bild der deutschen
Trümmerfrau; an eine, die – so will es ja die Erinnerung an das einstmalige Wirtschaftswunder der Deutschen – noch so richtig
zupacken konnte; die mit ihren bloßen Händen Backsteine in Goldklumpen verwandelte.
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