Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
raucht, eine Vogue Superslims. Wahrscheinlich arbeiten die Taxifahrer, fährt die Polizistin fort, für eine der zwei Banden,
deren Namen wie billige Wodkasorten klingen: für die Mafia Pruszkowska oder die Mafia Wołomińska. Rauchend tippt sie den Bericht
mit zwei Fingern in die Tastatur, mit harten Anschlägen, als sei ihr Computer eine alte Schreibmaschine, blickt kurz zu mir
hoch, streng und gleichgültig zugleich, reicht mir den Ausdruck zur Unterschrift und sagt zum Abschied: »Fertig.«
Im falschen Wałęsa-Schnurrbart der bösen Taxifahrer findet die ganze Stadt ihr Abbild. Denn nichts liebt Warschau mehr als
die perfekte Kopie. In auratischer Urform wiederholt es den verblaßten Mythos des kapitalistischen Westens. Sie meißelt die
Welt als schillernde Lüge in Stein. Rund um den Hauptbahnhof, dessen Bahnsteige in unterirdischen Katakomben vom stalinistischen
Erbe zeugen, verpraßt die
upper class
ihr frisch ergaunertes Vermögen in phallischen Träumen aus Glas. Ich betrete die Wolkenkratzer-Hotelbars des Intercontinental
und des Marriott. Dort konfrontieren die neuen Superreichen der Hauptstadt das einstige Armenhaus Europas mit ungewohnten
Fragen: »Co siȩ |57| stało z białym burgundem?« (»Was ist bloß los mit dem Weißburgunder?«) Mit dieser neuen Titelschlagzeile des
wino
in der Hand wartet eine junge Polin enerviert auf ihren Gatten in der Hotellounge. Sie nippt ungeduldig an einer kleinen,
bauchigen Lavazza-Espresso-Tasse. Derweil überfliegen ihre Blicke stirnrunzelnd toskanische Weingärten und Flaschenetiketten,
die von himmlischen Jahrgängen zeugen. Eher zufällig, so scheint es, mag sie an die Millionen ihres neuen Mannes geraten sein,
der ihr plötzlich seine Hand reicht. Wie aus dem Nichts.
»Polnische Millionäre« – das klingt nach wie vor wie ein billiger Treppenwitz, wie ein Kalauer über ein Land, das sich jahrzehntelang
durch Mangelwirtschaft auszeichnete. Als meine Eltern 1981 den imaginären Würsten und der schlechten Butter entflohen, da
konnten sie nicht ahnen, daß die Zurückgebliebenen später ihr eigenes, rauschendes Wirtschaftswunder erleben würden. Damals
zogen wir mit drei Koffern und hilfloser Entschlossenheit in das Land unserer Träume. Wegen meines zu kurz geratenen Beines,
wegen des drohenden Kriegszustandes, aber auch, um die polnischen Krówki-Bonbons zu vergessen. Krówki (Kühl ein ) waren Paradontose-Bomben, die sich – trotz ihres derzeitigen Retro-Kultstatus – selbst in größter Hungerszeit nur mit planwirtschaftlicher
Gewalt auf dem Markt halten konnten. Nur aus der Ferne erinnerte die vergilbte Kuh der Bonbonverpackung als gebrochenes |58| Glücksversprechen an Milka, ihre strahlende Schwester aus dem Westen.
Nachts, wenn unsere neuen, neiderfüllten Nachbarn im Sechs-Parteien-Haus schliefen, in Koblenz-Neuendorf, schleppten meine
Eltern üppige Einkäufe schleichend durch den Hausflur in die Küche. Jede Nacht ein Weihnachtsfest. Das schönste: jene heilige
Nacht, als eine nagelneue Friteuse unseren Reichtum besiegelte – und sogleich begann, mein sensibles Geruchsorgan dampfend
zu zerstören. Meine Eltern hatten Pommes entdeckt, in den 80ern der Deutschen Lieblingsgericht. Und die Polen, die in Polen
blieben, haben die Fritten verpaßt und uns doch über Nacht eingeholt: die Rache der Wartenden.
Warschau ist heute eine Braut, die sich erregt zu Tode tanzt. In Windeseile entschlüpfte sie dem sozialistischen Trauerkleid
und vermählte sich mit den westlichen Bildern des Konsumrauschs. Wohl nur, um sie noch glamouröser in Szene zu setzen. Und
vulgärer. Die prolligen Aufsteiger, denen der Zugang zur Marriott-Bar noch verwehrt wird, tanzen mit ihren jungblütigen Freundinnen
im Club
Zoo
, um der Außenwelt zu zeigen, daß der polnische Mann ein gefährliches Raubtier ist. Ein Panther, der seiner Auserwählten beherzt
ans Gesäß faßt. So schnell wie im
Zoo
wird wohl niemals wieder die Frau zum mythischen Sinnbild der Stadt: zur koketten Diva, die ein sinnliches Versprechen auf
den |59| Lippen trägt, und zur Hure Babylons, wenn sie sich zum Rhythmus des DJs an einen anderen verliert. Im Le Madame, einem Club
am Rande der Altstadt, ist kein Entkommen, das Management hat sich zum allgemeinen Vergnügen entschlossen, sein Etablissement
großzügig mit Futon-Betten auszustatten. Im Souterrain, fern der Tanzfläche, sinken zu später Stunde überreizte Paare in die
Federn – wie
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