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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Soboczynski
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Eheleute nach getaner Arbeit. Sie entschlummern für kurze Zeit dem pochenden Beat der oberen Etage, unter ihnen
     brummt die U-Bahn ein bleiernes Wiegenlied, und wenn irgendwann das kalte Neonlicht eine letzte Runde einläutet, dann verlieren
     sie sich wie Sünder in der Nacht. Doch immer wenn samstagmittags die weißen Bräute der Stadt die Kirchplätze säumen, dann
     schütteln sich die neuen Schwager glücklich die Hand, und die Mütter nicken lachend mit gefärbten Köpfen. Und sämtliche Männer
     fotografieren und filmen vereint die Unschuld in Weiß. In der verstaubten
Restauracja Budapeszt
ertränken sie dann die schwindende Jungfräulichkeit einer Frau, die selbst schon mächtig beschwipst von Tisch zu Tisch wankt.
     Doch insgeheim wissen die Hochzeitsgäste, daß ihre Unschuld niemals schwinden wird, denn Warschau ist die makelloseste Braut
     Europas. Sie kann die Wende von 1989 für kleine Momente illusorisch zur Seite schieben, wie im
Budapeszt
, das die Sowjetästhetik so trotzig konserviert, als sei es ein Ableger von Lenins Mausoleum. Oder wie in einer Milchbar,
     in der greise Nonnen und |60| resignierte Arbeiter beim linkischen Kartenspiel
flaki
futtern; gerade so, als heiße ihr Chefkoch noch Jaruzelski, jener als
wrona
(Krähe) verhöhnte Parteigeneral, der einst mit dickrandig-verdunkelter Brille und billiger Militärkluft Polens Erscheinungsbild
     im Ausland ruinierte.
    Daß die Sowjetdoktrin dennoch nie richtig griff, daß in Warschau insgeheim schon immer der Papst und ein wenig die Solidarność
     regierten, ist die eine Seite der weißen Weste der Stadt. Die andere ist gleichfalls historischer Natur. Jahrhundertelang
     von europäischen Mächten eingekesselt, hat sich im kulturellen Bewußtsein das Bild des ohnmächtigen Opfers, des gedemütigten
     Verlierers tief eingebrannt. Doch das Opfer harrt im polnischen Katholizismus zugleich seiner Auferstehung. Und ihr leuchtender
     Ausdruck sind nun Wolkenkratzer, die in Unschuld den Himmel streifen. So sind in Warschau die Sünde und die Schuld, die Hure
     Babylons und die Jungfräulichkeit einer strahlenden Braut widerspruchslos vereint. Wer sich nachts in fremden Betten wälzt,
     steht morgens selbstvergessen auf dem Kirchplatz; wer sich abends einen gefakten Schnurrbart anklebt, dem wächst über Nacht
     ein echter. Und wenn ein zwielichtiger Baulöwe seine Hochhäuser in den Warschauer Himmel türmt, dann weiß er, daß auch hier
     die polnische Ablaßdoktrin greift. Sie befreit ihn gnädig von einem schlechten Gewissen, von einer andauernden Selbstzermürbung,
     wie sie protestantische Gesellschaften |61| plagt. Der irdischen Schuld entkleidet, fährt der Mammon in ein kapitalistisches Himmelreich.
    Nachts, im Hotel Europejski, nach einem langen Abend im Le Madame, höre ich, wie jemand etwas durch den Türschlitz meines
     Zimmers schiebt. Wach geworden, Gefahr witternd, knipse ich das Licht an. Vor der Tür liegen zwei Zettel, billig bedruckt:
     Magda, die ich anrufen soll und die mir eine Abendbegleitung zu gewähren verspricht, sie hat einen schwarzen Balken über den
     Brüsten und einen anderen über ihrem Schritt. Auf dem anderen ist Piotr abgebildet. Er trägt einen Smoking und in seiner rechten
     Hand eine Sektflasche. Auch er verspricht vergnügliche Stunden. Beide, Magda und Piotr, sollten fortan jede Nacht im Hotel
     Europejski durch den Türschlitz hindurch in mein Zimmer dringen.
     
    Ein neuer Tag. Vom Hotel, in dem es jeden Morgen Rühreier mit Speck gibt und dicke Würste, zieht es mich früh hinaus. Die
     Sonne bescheint Dächer, Plätze und Menschen, ein sehr milder Wintertag, und ich nehme eine der breiten Ausfallstraßen, die
     von der Altstadt wegführen. Ich gelange zum Platz der drei Kreuze, zum Plac Trzech Krzyży.
    »Subtle scent – delicate touch – exquisite taste.« Das verspricht die blütenreine Verpackung der Vogue Superslims: Zigaretten,
     dünn und lang wie magersüchtige Models, in Mündern der Damen von Warschau. Sie |62| sitzen am Platz, sie haben die Beine übereinandergeschlagen und verströmen das Lebensgefühl ihrer neuergatterten Hochglanzmagazine.
     Agnieszka Wiczinska sitzt über einem grünen Getränk mit zwei Freundinnen hinter der Fensterscheibe des nu, nu. Unterbrochen
     vom raschen Saugen an einem durchsichtigen Strohhalm, raucht sie ihre Vogue mit einer Taktfrequenz, als sei dies ihre ureigenste
     Bestimmung – und sonst gar nichts. Ihr Freund sei Manager, erwähnt Agnieszka zwischen zwei

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