Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
Zügen. Was er genau mache an diesem
Freitagnachmittag, wisse sie nicht. Er arbeite aber doch sicherlich immer noch in der Marketing-Branche, fragt die kleine
brünette Begleiterin zu ihrer Linken spitz. »Ja, ja«, lautet die knappe Antwort, die ein lauerndes Schweigen auslöst. Man
kann den Kapitalismus besser genießen, wenn man nicht alles so genau weiß. Beiläufig sammelt ein kahlköpfiger Kellner die
Gläser ein. Die Brünette zahlt für drei, ihre Nachbarin richtet ihr blaues Kleid, und Agnieszka packt zügig ihre Siebensachen
zusammen.
Sie winken mir noch zum Abschied zu, man hatte sich schließlich unterhalten, auch wenn ich nur Stichwortgeber war, und mit
demonstrativer Sicherheit ziehen sie in drei verschiedene Himmelsrichtungen. Jeder ihrer Schritte wird zum Ausdruck einer
machtvollen Grazie, jedes Accessoire untermauert ihr frisch erkauftes Glück.
Wenn es stimmt, daß Mode ein Ausdruck der Geisteshaltung |63| ihrer Träger ist, dann befolgen die drei Damen am Platz der drei Kreuze ein barockes Stilideal. Nicht die reduzierte Ästhetik
eines Apoll von Belvedere, sondern der sinnliche Kitsch einer katholisch verwurzelten Gesellschaft blendet. Im Kult der Verzierung,
im Fetisch der Vogue erstrahlt noch einmal das Geheimnis der frühkapitalistischen Warenwelt, die Karl Marx als »Zauber und
Spuk« auf den Begriff brachte.
Doch die Magie der Ware duldet keine Ironie. Sie ist auf die Illusion des Einmaligen, des Authentischen angewiesen. Vielleicht
ist deshalb auf dem Rondo de Gaulle die Palme der Warschauer Künstlerin Joanna Rajkowska den meisten ein Dorn im Auge. Zehn
Meter erhebt sich der Plastiktraum des Südens inmitten des Stadtverkehrs zur Ikone einer sinnfreien Mitte. »Palma«, erklärt
die Künstlerin ausländischen Journalisten so gerne, meint auf polnisch auch »Quatsch«; und sie weiß, daß sie nicht geliebt
wird.
Mir fällt, die Palme fixierend, Berlin ein, die Stadt, in der ich seit zwei Jahren lebe. Während man dort noch immer die Strandbadbegeisterung
zu befriedigen sucht, indem man ihre ufernahen Cafés mit Strandkörben und Sanddünen ausrüstet, ist der Plastikbaum in Warschaus
Mitte ein Fremdkörper. Sprengen sollte man ihn, forderte eine Tageszeitung, als er an Weihnachten den traditionellen Weihnachtsbaum
am Rondo ersetzte. Zu aufdringlich erinnert die Palme die Stadt wohl daran, daß jenseits der Oder die Ironie als allgemeingültiges |64| Lebensgefühl fungiert. Wenn im Spiel des Zitats die Wirklichkeit grausam durchbrochen wird, dann ist die Aura der Zigarette,
das Geheimnis der Warenwelt, der anmutige weibliche Blick lediglich die sinnentleerte Markierung einer verlorenen Gegenwart.
Es wäre eine Ironisierung frisch erlangter Macht, die man sich hier nicht leisten will. Denn noch wehrt sich die Stadt in
ihrer kapitalistischen Unschuld gegen die Entzauberung der Welt; einer Welt, in der jedes Lebensgefühl zum Klischee erstarrt
und zum verschämten Wettbewerb des Understatements mutiert. Sie sucht die reflexionsarme Grazie, nicht ihr zerstörendes Zitat;
sie kopiert zwar den Westen, aber so, als hätte sie ihn gerade selbst erst erfunden. Sie inszeniert sich in Unschuld. Ein
Paradox.
Das Leben braucht wohl Illusionen, um handeln zu können. Sagt Nietzsche. Und hin und wieder braucht man in Warschau davon
eine ganze Ladung. Eines Nachts umrunde ich den Pałac Kultury, den Kulturpalast in der Stadtmitte, hinterher ist mir klar:
Man muß beim Spaziergang eine ordentliche Portion guter Laune einpacken; man sollte dabei vielleicht fröhlich pfeifen; in
etwa so, als schritte man als Kind tapfer in den dunklen Keller der Eltern.
Eine Ewigkeit dauert der Weg, der um 40 Millionen Ziegelsteine kreist, um 28 Plastiken, in Stein gemeißelte Arbeiter, die
das »Kapital« studieren oder eine Sense schwingen, und um 3288 Räume, in denen schwere Kristallkronleuchter hängen. Im Vergleich
zum Pałac Kultury |65| war der Berliner Palast der Republik ein zartes Waisenkind. Und wer in der endlosen Leere des Raumes, die ihn umgibt, verschluckt
wird, der ahnt, daß Warschaus innigster Geliebter einstmals Josef Stalin hieß. »Es war ein Geschenk«, sagt ein guter Taxifahrer,
indem er überstürzt den Gang wechselt, mich anlachend, »und wir hatten die Wahl. Entweder er baut uns die U-Bahn oder den
Palast.«
Am nächsten Morgen wird mir von der deutschen Botschaft mein Ersatzausweis ausgestellt, mein regulärer Paß war zusammen
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