Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
Bedeutungslosigkeit?
Jene Randexistenz, die sie in Deutschland führt?
Die Frage scheint Maliński zu beleben. Leise lächelnd erwidert er: »Wissen Sie, das fragen mich viele Deutsche, auch Kardinäle
und Priester. Ich zitiere immer Lenin: ›Wenn der Bauer einen Traktor bekommt, dann gibt es für ihn keinen Gott mehr.‹ Aber
das ist nicht wahr. Und ich sage Ihnen was«, sagt Maliński. Er bedeutet mir, näher zu rücken. »Vielleicht liegt das am Klerus.
An Autoritäten, die etwas ausstrahlen. Wir hatten da unseren Wojtyła. Gott sei Dank.«
Offenkundig gibt es den guten Papst und den bösen Papst. Den bösen Papst kenne ich aus Deutschland. Johannes |147| Paul II., Karol Wojtyła, galt als der reaktionärste, der dogmatischste, der engstirnigste Patriarch, den die katholische Kirche
hervorgebracht hat. Man wurde etwas wohlwollender, als ihn die Parkinsonsche Krankheit plagte, da regte sich ein Anflug von
Mitleid. Pluspunkte sammelte er, als er im Einklang mit Gerhard Schröder den Irak-Krieg geißelte und Polen in die EU drängte,
während erzkonservative polnische Kräfte wie der Rundfunksender
Radio Maryja
massive antieuropäische Propaganda schürten. Ansonsten war sein Image in Deutschland stets ramponiert. Verbot er doch Kondome,
während Afrika unter Überbevölkerung und Aids zugleich litt. Und er predigte den Zölibat. Und wenn Reformpriester wie Hans
Küng oder Eugen Drewermann sich über Ökumene und die Vision einer Weltkirche ausließen, dann wurden sie flugs ihrer Ämter
enthoben.
Als der Papst im November 1980 vom
Spiegel
zum »Missionar des Gestrigen« deklariert wurde, war er in Polen zum frenetisch umjubelten Nationalhelden reüssiert. Fernab
jeder 68er-Debatte um Verhütungsmittel und Feminismus symbolisierte er in seinem Heimatland das Progressive schlechthin. Nicht
nur, weil der Papst so schön unkonventionell war: Kraxelte er doch gern in der Hohen Tatra umher oder fuhr in Zakopane auf
Skiern die Piste hinab. Vor allem war Wojtyła das Sprachrohr Roms für ein unter der Sowjetherrschaft stehendes Polen.
|148| Auch für meinen inoffiziellen Fremdenführer, einen guten Taxifahrer, ist das Thema mit großen Gefühlen beladen. Als er auf
das Siechtum des Papstes angesprochen wird, stimmt er ein polnisches Trinklied an: »Sto lat, sto lat, niech żyje, żyje nam!«
–
»Hundert Jahre, hundert Jahre möge er leben.« Wir fahren in seinem alten Passat durch die engen, frisch renovierten Gassen
der Altstadt. »Sie fragen mich ernsthaft« – er schaut mich vorwurfsvoll an –, »ob der Papst mir etwas bedeutet? Der Papst
ist mein Leben.« Er gibt Gas, schaltet in den dritten Gang. »Das katholische Herz Krakaus«, sagt er, »schlägt lauter als das
von Rom.«
»Wir machen einen Umweg«, sagt der bärtige Chauffeur, er heißt Marek Kurleto. Einen Abstecher nach Nowa Huta, Neue Hütte.
Industriebauten, mittlerweile marode, umschließen Wohnblöcke, die mit neoklassizistischer Wucht in die Landschaft gesetzt
wurden und nun langsam verfallen. »Hier, genau hier tobte der Kampf um die Freiheit Polens.« Der Taxifahrer bremst scharf,
zeigt auf ein schiffartiges, monströses Etwas. Erst auf den zweiten Blick erweist sich der Betonklotz inmitten der Siedlung
als Kirche. Arka ist ihr Name, er soll an die Arche Noah erinnern. Mit kleinen Steinen ist die Kirche verkleidet. »Gebirgsflußkiesel.
Zwei Millionen Stück«, sagt Kurleto, zieht andächtig an einer West light. »An dieser Stelle befand sich in den 60er Jahren
nur ein großes Holzkreuz.«
Von 1959 an zelebrierte der spätere Papst hier als |149| Weihbischof von Krakau auf offenem Feld Messen – im Regen, im Schnee, in frostiger Kälte, zur Provokation der kommunistischen
Machthaber. Die Arbeiter von Nowa Huta, so der Plan der Regierung, sollten großzügige Wohnungen erhalten, ein Theater, ein
Kino und einen Ballsaal. Nur keine Kirche. »Sonntägliche Massenaufläufe waren die Folge«, erinnert sich Kurleto, der in den
60er Jahren ein Teenager war. »Das Holzkreuz wurde zum Symbol des Widerstandes.« Kurleto ballt die Faust. »Aber die Kommunisten
sind eingeknickt.« Kardinal Wojtyła selbst stieß am 14. Oktober 1967 den ersten Spaten in den reifglatten Rasen. Und als er
die Einweihungsmesse hielt, vor Tausenden Nowa-Huta-Arbeitern und Pilgern aus aller Welt, geriet seine Predigt zum Affront
gegen die Machthaber des Landes: »Dies ist keine Stadt von Menschen, die jemandem gehören,
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