Polt - die Klassiker in einem Band
aber auch nicht für sich, ein paar Wurstsemmeln zwischendurch mußten genügen.
Außerdem war er einer merkwürdigen Bastelarbeit nachgegangen und hatte sich einen Robisch geschnitzt. Für alle Ereignisse, die außer Zweifel standen, zog er einen Strich über beide Hölzer: Gegen zwei Uhr hatte er mit Willi und Karl Gapmayr oben am todten Hengst geredet. Etwa eine halbe Stunde später war er mit Sepp Räuschl in den Keller gegangen und hatte dann gegen drei Uhr sein zerstörtes Fahrrad vorgefunden. Gegen halb sechs war die Nachricht vom Autounfall Breitwiesers eingetroffen, und etwa eineinhalb Stunden später hatte Karl Gapmayr den Tod von Willi gemeldet.
Mit Kreide markierte Polt dann auf einem der Hölzer Vermutungen und ungewisse Zeitpunkte. Anatol und René am Tatort. Vielleicht auch die Viererbande. Breitwiesers täglicher Spaziergang führte vorbei. Am bewußten Tag war er allerdings mit dem Auto unterwegs gewesen. Wer wann noch? Wann war Willi gestorben? Aber so sehr Polt auch grübelte, mit theoretischen Überlegungen kam er nicht weiter.
Von Karin Walter hatte er seit dem Streit nichts mehr gehört, wußte aber, daß die vier Buben regelmäßig in die Schule kamen. Polt beschloß, sich das alte Zollhaus näher anzuschauen. Das Gebäude stand immerhin auf der Liste der Viererbande, und dann war ja noch die Sache mit den eingeschlagenen Fenstern passiert. „Professor“ nannten die Bauern den alten Mann, der dort seit Jahrzehnten lebte.
Polt machte sich also in der dienstfreien Zeit erst einmal auf den Weg nach Brunndorf, wo er die Gemischtwarenhandlung betrat. Frau Habesam beendete auffallend rasch ihr intensives Gespräch mit einer dicken Frau mittleren Alters und warf dem Gendarmen einen schnellen abschätzenden Blick zu. „Gut schauen wir aber nicht aus, mein Lieber!“
„Ich bin hier zum Einkaufen und nicht zur Behandlung, Frau Habesam.“
„Und eine Laune hat der junge Mann, schauderhaft. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß Karin Walter nur noch ihr eigener Schatten ist?“
„Woher soll ich das wissen?“
„Ja, woher auch. Kann ich ihr was ausrichten? Auf mich hört sie manchmal.“
„Ich möchte bitte zwei Semmeln mit Käsewurst haben.“
„Mit Gurkerl?“
„Mit Gurkerl.“
Frau Habesam ging ans Werk. „Die vier Lausbuben können einem fast schon leid tun, was?“
Polt betrachtete mürrisch ein Rollmopsglas, das neben der altmodischen Registrierkasse stand. „Allerdings. Aber denen ist vorerst nicht zu helfen. Wenigstens ist nichts mehr vorgefallen in letzter Zeit, was einen noch mehr beunruhigen müßte.“
Frau Habesam legte mit spitzen Fingern Wurstblätter auf die Semmelhälften. „Ein Gefängnisfriede, Inspektor. Ich warte nur noch auf die Revolte.“
Ein Robisch
„Kommt auf die Wärter an.“
Die Kauffrau hob kriegerisch eine aufgespießte Essiggurke. „Wärter? Von diesen sogenannten Vätern reden Sie? Die waren doch selbst die ärgsten Banditen in der Schule. Der Wieser Manfred hat nicht nur einmal den Hosenriemen des Lehrers zu spüren bekommen.“
„Und diese bewährten Erziehungsmethoden gibt er jetzt weiter, hm?“
Frau Habesam hatte ein gefährlich aussehendes Messer ergriffen und schnitt die Essiggurke mit der Geschicklichkeit eines chinesischen Kochs in dünne Scheiben. „Nach außen hin sind die Leute im Dorf friedlicher geworden. Aber wenn niemand zuschaut … Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen, Inspektor. So, fertig, Ihr Junggesellenmenü. Haben Sie übrigens vom Mordfall in Kirchtal gelesen? Ein altes Ehepaar, er 79, sie 75. Haben zusammengelebt wie die Turteltauben, sagen die Nachbarn. Und eines Nachts erwürgt er seine Frau und hängt sich dann auf. Möchten Sie auch noch was zu trinken dazu?“
„Wie? Ach so. Nein.“ Polt hatte einige Mühe, Frau Habesams Gedankensprüngen zu folgen. Sie gab die nachlässig eingewickelten Wurstsemmeln in einen Papiersack und schob ihn über den Ladentisch. „Nach dem Krieg war’s natürlich am ärgsten. Die Russen haben geplündert, gesoffen und vergewaltigt, die Wiener haben uns das Essen abgeschachert, und die ehemaligen Nazis haben ihre Spuren verwischt. Überall Heimlichkeiten, Verrat, Betrug und Gewalt. Ein Menschenleben hat wenig gegolten.“
„Was war eigentlich mit Ihnen damals, Frau Habesam?“
„Mit mir? Schleichhandel mit dem Russenlager. War nicht ungefährlich, hat aber ganz schön was eingebracht.“
Polt überlegte. „Damals ist ja auch der Willi vor die Haustür von Frau
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