Polt - die Klassiker in einem Band
sind.“
„Und wie ich verheiratet bin. Seit 62 Jahren, sieben Monaten, drei Wochen und zwei Tagen übrigens. Meine Frau regiert den ersten Stock. Hier unten herrscht mein Chaos, oben ihre Ordnung. Wollen Sie hinaufkommen?“
„Ein anderes Mal gerne. Ich bin unter Druck.“
„Sie sind verspannt und stur unterwegs, Inspektor. Das ist kontraproduktiv.“
„Danke. War ein guter Tip.“
Polt radelte zurück nach Brunndorf. Diesmal war Friedrich Kurzbacher zu Hause. Er stand im Hof und goß mit trüber Miene Blumen, die in einem mit Erde gefüllten Autoreifen wuchsen. „Grüß dich, Simon. Ruhig ist es geworden hier. Keine Hühner, keine Ziegen, keine Schweine mehr. Es war viel Arbeit mit den Viechern, aber ein anderes Leben war es auch.“
„Wo ist deine Frau?“
„Auf dem Friedhof, die Mutter gießen. Seit einem Jahr liegt sie jetzt draußen. Ich war übrigens auf dieser Weinkost in Burgheim, Simon, und da hat mir einer was erzählt, du kennst ihn nicht.“
„Laß hören.“
„Na, er wollte an dem Tag, der dich interessiert, am Abend gegen sieben gerade mit der Arbeit aufhören. Er war in seinem Weingarten am unteren Ende der Kellergasse. Plötzlich hat er den Klaus und seine Freunde den Hang herunterlaufen gesehen. Gerade so, als ob der Teufel hinter ihnen her gewesen wäre.“
Polt kratzte sich am Kopf. „Danke, Friedrich. Das bringt mich weiter. Und durcheinander bringt es mich auch.“
Die Symbionten
„Grüß Gott, Herr Inspektor Polt! Haben Sie vielleicht ein paar Minuten Zeit?“ Frau Raab stand vor der Burgheimer Apotheke und hob eine kleine Schachtel hoch. „Hustensaft. Gestern hat’s mich erwischt, hab kaum schlafen können in der Nacht. Und wenn einmal die Hausmittel nicht mehr angreifen, muß eben die Chemie her.“
„Na, dann gute Besserung!“ Polt stieg vom Fahrrad. „Und was wollen Sie von mir, Frau Raab?“
„Gar nichts. Ich habe was für Sie. Aber Sie müssen mitkommen. Es liegt bei mir zu Hause.“ Sie kicherte. „So lockt man junge Männer an, nicht wahr?“
„Sie wissen eben, wie’s geht, Frau Raab.“
Wenig später saß ihr Polt am Küchentisch gegenüber. Sie öffnete eine Lade und kramte darin. „Ich war ganz sicher, daß ich es da hineingelegt habe. Haltaus, da ist es schon.“ Triumphierend hielt sie Polt ein kleines Foto hin. „Ich habe einfach darauf vergessen, Ihnen davon zu erzählen. Aber es läßt eben schon gewaltig nach, da oben.“ Sie tippte an die Stirn. „Das Bild ist in den Windeln vom Willi gesteckt, als ich ihn gefunden habe. Komisch, nicht wahr?“
Polt nahm das Foto in die Hand. Es war stark verblichen und abgeschabt. Doch er konnte den Kopf eines jungen Mannes erkennen. Ein akkurater Mittelscheitel durchzog das helle Haar, und das Gesicht zeigte einen ernsten, entschlossenen Ausdruck. Vergeblich versuchte Polt den völlig verwischten Stempelabdruck auf der Rückseite des Fotos zu entziffern.
Frau Raab rückte mit ihrem Sessel dicht an ihn heran. „Als der Willi dann älter war und mich so halbwegs verstanden hat, habe ich ihm das Foto gegeben und dazu gesagt, daß es seinen Vater zeigt. Ob er es nun war oder nicht. Willi, habe ich oft erzählt, eines Tages kommt dein Vater und holt dich mit einem großen weißen Auto ab. Er ist nämlich ungeheuer reich und sehr traurig, daß er dich verloren hat. Überall sucht er dich auf der Welt. Na, so ganz wird der Willi die Geschichte nicht begriffen haben. Jedenfalls hat er das Bild von da an immer bei sich getragen, es war sein größter Schatz. Darum kann man auch fast nichts mehr sehen darauf.“
„Haben Sie das Foto damals, als es noch neu war, genauer angeschaut, Frau Raab?“
„Und ob ich das genau angeschaut habe! So ein schneidiger Kerl, und läßt die Mutter von seinem Kind im Stich! Aber es kann natürlich auch anders sein. Vielleicht ist er im Krieg gefallen, und die junge Frau hat sich nicht mehr zu helfen gewußt.“
„Und das Gesicht ist Ihnen nicht irgendwie bekannt vorgekommen?“
„Nein, das hat mich ja so gewundert. Ich habe als junges Mädchen die Burschen im Dorf und aus der Umgebung natürlich gekannt, und ein paar von denen habe ich verteufelt gut gekannt!“
„Aber!“
„Was wollen Sie, Herr Inspektor. Das war in der schlechten Zeit so ziemlich das einzige Vergnügen. Aber der da auf dem Foto war keiner aus der Gegend. Er hat einen gestutzten Bart auf der Oberlippe getragen. Das war bei unseren Burschen so gar nicht der Brauch. Und noch etwas ist mir
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