Polt - die Klassiker in einem Band
essen?“
„Was für eine Frage! Ich warte natürlich gerne.“
Eine gute halbe Stunde später gingen die beiden gemächlich einen Güterweg entlang, der an der neuen Mehrzweckhalle vorbei in die Weingärten führte. Der Architekt hatte die Hände in die Manteltaschen gesteckt und die Schultern hochgezogen. „Ein Verbrechen“, murmelte er.
„Was meinen Sie?“
„Na, dieses Monstrum da: anmaßende Dimensionen, banale Gestaltung und gedankenlose Plazierung. Ein brutaler Faustschlag in die Harmonie der Landschaft.“
„Da haben Sie recht.“ Polt seufzte. „Andererseits: Wenn endlich einmal gebaut wird in dieser Gegend und die Landesregierung sogar Geld locker macht, muß das Ergebnis eben möglichst groß, kostengünstig und zweckmäßig ausfallen. Die Leute hier sind richtig stolz auf ihre Halle, und ich kann das auch verstehen.“
„Und der barocke Schüttkasten in Burgheim verfällt. Warum hat man den nicht zum Veranstaltungszentrum ausgebaut?“
„Weil er keinen Parkplatz vor der Tür hat. Das macht ihn für unsere Autonarren so gut wie uninteressant. Aber es ist nicht unser Thema, nicht wahr?“
„Nein.“
Nach einer längeren Zeit des Schweigens gab sich der Architekt einen Ruck. „Ich werde Ihnen einfach eine Geschichte erzählen, eine Bitte aussprechen, und Sie entscheiden dann, was zu tun ist.“ Als Polt stumm blieb, fuhr er fort. „Sie wissen vermutlich, daß ich mit Albert Hahn und Florian Swoboda in Wien die Mittelschule besucht habe.“
„Das weiß ich.“
„Die ganze Zeit über war ich der beste Schüler von uns dreien. Doch in der achten Klasse geschah etwas, das mir heute eigentlich ganz plausibel vorkommt: Ich fühlte mich so maßlos überlegen, daß ich leichtsinnig wurde. Kurz vor der Matura hatten jedenfalls meine zwei Schulfreunde ungleich bessere Chancen durchzukommen als ich: Florian war in den letzten Monaten aus purer Verzweiflung wirklich fleißig gewesen, und Albert war schon damals so gerissen, daß er sich ganz bestimmt irgendwie durchschwindeln würde. In mich, den Musterschüler, setzten die Prüfer aber hohe Erwartungen, und es war mir klar, daß sie in ihrer Enttäuschung um so härter urteilen würden. Ich sprach mit Albert darüber. Der grinste geheimnisvoll und sagte, er könne mir schon helfen. Es sei auch nicht nötig, von meiner Seite aus irgend etwas zu unternehmen, ich müsse ihm nur absolut vertrauen. Einerseits hatte ich Angst, andererseits war so eine heimlichtuerische Abenteuergeschichte auch faszinierend für mich. Albert ließ mich ein leeres Blatt Papier unterschreiben und ein paar Wochen später hatte ich wie durch ein Wunder die Matura geschafft. Dann erfuhr ich erst die ganze Geschichte: Albert wußte davon, daß unser Klassenvorstand ein Verhältnis mit einer Mitschülerin hatte.“
Polt blieb unwillkürlich stehen. „Erpressung also.“
„Ja, ein perfekt formulierter Brief, auf der Schreibmaschine getippt und mit meiner Unterschrift versehen.“
„Das hätte bei einem mutigeren Lehrer auch anders ausgehen können.“
„Allerdings. Aber der Schuldige wäre ja nur ich gewesen. Albert hatte seinen Nervenkitzel – so oder so.“
„Und später hat er Sie damit unter Druck gesetzt?“
„Nicht so direkt. Er gab mir nur manchmal scherzhaft zu verstehen, daß mein Studium mit einem hübschen kleinen Verbrechen begonnen habe, und er konnte sehr ungehalten werden, wenn ich versuchte, ein wenig Distanz zwischen ihn und mich zu bringen.“
„Und seine seltsamen Feste?“
„Damit hat es erst vor etwa zehn Jahren so richtig begonnen. Vorher haben wir eigentlich nur ziemlich exzessiv miteinander getrunken und sind schon auch einmal in einem Bordell gelandet. Erst nach und nach, für uns unmerklich, verloren wir den Halt. Als Albert dann wußte, daß kein nennenswerter Widerstand mehr zu erwarten war, kündigte er an, uns in Zukunft die bürgerlichen Flausen ein wenig nachdrücklicher auszutreiben.“
„Was hat denn Florian Swoboda an Albert Hahn gebunden?“
„Einfach Geld, denke ich. Florian ist ein recht origineller, aber nicht allzu intelligenter Bruder Leichtsinn und ein hemmungsloser Angeber. Albert hat ihn immer darin unterstützt, er mochte nun einmal menschliche Marionetten. Nur Bibsi ist ihm ein wenig in die Quere gekommen.“
„Was, die?“ Polt war ehrlich verblüfft.
„Ja, Bibsi hat Rückgrat und hält zu ihrem Mann. Weiß der Teufel, warum.“
„Und Sie, Herr Architekt? Familie?“
„Nein, ich habe es nie gewagt.
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