Polt - die Klassiker in einem Band
dieser Gegend einen Nachbarn hilflos liegen. Das ist noch ein Erbe von früher, als die Dörfer auf sich gestellt im gefährlichen Grenzland durchkommen mußten. Es hat nichts mit Nächstenliebe zu tun. Das ist Gesetz hier. Ganz abgesehen davon: Möchtest du was trinken?“
„Nein danke. Mir ist irgendwie nicht danach. Komisch. Ist dir das auch schon aufgefallen? So ein Keller ist doch immer der gleiche. Doch mit der Stimmung, die du herunterbringst, ändert er sich. Einmal nimmt er dich freundlich auf, ein anderes Mal verführt er dich, oder er will nichts von dir wissen und läßt dich allein.“
„An dir ist ein Philosoph verlorengegangen, Simon.“
„Das hilft mir im Augenblick auch nicht weiter.“
„Was hast du noch vor heute?“
„Eigentlich eine ganze Menge, nämlich nichts. Grüß die Erika von mir!“
Dann stieg Polt bedächtig, doch ein wenig achtloser als sonst, die vielen Kellerstufen hoch und schlenderte nach Burgheim zurück. In der Nähe des Kirchenwirtes sah er schon von weitem einen Streifenwagen und zwei Gendarmen stehen. Er rannte hin, sah Kreideskizzen auf dem Asphalt und fragte atemlos, was denn passiert sei. „Dieser Pahlen ist dem Schachinger ins Auto gerannt.“
„Und?“
„Nicht viel, Gott sei Dank. Dr. Eichhorn hat den Architekten in Swobodas Haus gebracht. Der Schachinger Josef sitzt in der Dienststelle.“
„Habt ihr was dagegen, wenn ich schnell einmal mit dem Pahlen rede?“
„Dein Vergnügen, Simon, in der dienstfreien Zeit. Du sagst uns ja dann auf der Wachstube Bescheid, ja?“
Mit langen Schritten ging Polt zu den Siedlungshäusern. Gartentür und Haustür waren unversperrt. Im Wohnzimmer lag der Architekt auf einer Bettbank, und Dr. Eichhorn war gerade dabei, seine altmodische Medikamententasche zu schließen. Er blickte kurz auf. „Grüß dich, Simon. Hast du heute nicht dienstfrei?“
„Doch. Sieht man ja. Was ist mit ihm?“
„Er hat sich alles geprellt, was es zu prellen gibt. Gebrochen ist nichts und das edle Denkgehäuse ist auch weitgehend unbeschädigt.“
Pahlen hob mühsam den Kopf. „Ihre Ironie ist durchaus berechtigt, Herr Doktor. Ich mausere mich wirklich schön langsam zur akademischen Witzfigur.“
Polt trat näher heran. „Sie machen es mir wahrhaftig nicht leicht, Herr Architekt. Und mußte es ausgerechnet das Auto von Josef Schachinger sein?“
Pahlen schaute erstaunt. „Josef Schachinger? Den Namen kenne ich nicht, nie gehört.“
„Auch nicht die Geschichte von seinem Buben, den Albert Hahn in den Keller geschleppt hat?“
„Davon hat Florian einmal erzählt. Aber der Name war mir nicht mehr geläufig.“
„Wie ist es überhaupt zu Ihrem Unfall gekommen?“
„Das ist gar nicht so einfach zu erzählen, Herr Inspektor. Erst einmal habe ich im Kirchenwirt noch weitergetrunken, vier Viertel, alles in allem. Dann wollte ich hierher ins Haus gehen, war beim Überqueren der Straße unaufmerksam und sah im letzten Augenblick ein Auto vor mir.“
„Sie hätten also noch stehenbleiben oder zurückspringen können?“
„Vermutlich ja. Aber da war für den Bruchteil einer Sekunde so ein verrückter Gedanke, der mir sagte: Warum eigentlich nicht! Und dann bin ich eben weitergegangen.“
„Werden Sie das später auch so als Protokoll unterschreiben?“
„Ja, natürlich.“
Dr. Eichhorn legte einige ausgefüllte Rezepte auf den kleinen Glastisch neben der Bettbank. „Wenn Sie mich wider Erwarten brauchen sollten, Herr Ingenieur, rufen Sie mich bitte an. Und seien Sie in Zukunft vorsichtig mit solchen Aktionen: Damit landen Sie rascher in einer geschlossenen Anstalt, als man sich das so vorstellt.“
Pahlen nickte langsam. „Weil ich auch nie etwas ordentlich zu Ende bringen kann.“
Simon Polt sah zu, daß er in die Dienststelle kam, erstattete kurz Bericht und ging zu Josef Schachinger, der verwirrt und zornig dreinschaute. „Ah, der Herr Inspektor Polt! Jetzt haben Sie mich, wo Sie wollen, nicht wahr?“
„Wie kommen Sie darauf?“ Der Gendarm setzte sich. „Ausnahmsweise waren Sie im Ortsgebiet einmal nicht zu schnell unterwegs. Außerdem hat Dipl.-Ing. Pahlen schon ausgesagt, daß er mit voller Absicht in Ihr Auto gerannt ist. Lebensüberdruß, Sie verstehen?“
„Zum Teufel, ja, das verstehe ich“, sagte Schachinger. „Aber warum ausgerechnet in mein Auto. Schon ein sehr eigenartiger Zufall, finden Sie nicht auch?“
„Doch, ja. Darüber werden wir alle miteinander ein wenig nachdenken müssen. Vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher