Polt - die Klassiker in einem Band
möchte ich die Umstände so weit klären, daß alle unbeschwert und frei von jedem Verdacht weiterleben können.“
„Wenn Sie dann noch leben.“
„Wie meinen Sie das jetzt wieder?“
„Nehmen wir einmal die unmittelbaren Kellernachbarn des Albert Hahn, den Friedrich Kurzbacher und den Karl Brunner.“
„Sie dürfen auch Herrn Swoboda nicht außer acht lassen.“
„Selbstverständlich nicht. Danke für den Hinweis. Da müssen also ein Wiener und zwei grundehrliche Weinbauern mit dem Verdacht leben, sie hätten damals mit dem Gärgas ein bißchen nachgeholfen. Das kann einen einfachen Menschen schon auf sehr dumme Ideen bringen.“
„Ich habe darüber nachgedacht.“ Simon Polt schaute auf seine großen Hände, schmal hätten sie ihm besser gefallen, mit schlanken Pianistenfingern. „Die Sache wäre wahrscheinlich längst für alle ausgestanden, Herr Bürgermeister, gäbe es nicht diese verstockte Geheimniskrämerei in der Kellergasse. Das gilt natürlich auch für den Schachinger, den Wolfinger und andere. Warum mauern sie, wenn es nichts zu verbergen gibt?“
„Vielleicht nur aus purem Trotz gegen Ihre Neugier?“
Polt senkte den Kopf. „Ich kann es nicht ausschließen.“
„Sehen Sie.“ Der Bürgermeister stand auf und ging ein paar Schritte. „Damit wir uns recht verstehen: Ich bin in keiner Weise befugt, Ihnen Anordnungen zu geben, und für gute Ratschläge fühle ich mich auch nicht zuständig. Außerdem teile ich Ihre Meinung, daß man des lieben Friedens willen nicht einfach alles auf sich beruhen lassen darf. Aber mein bürgermeisterlicher Hausverstand sagt mir, daß diese ungute Zeit der Ungewißheit nicht ewig andauern darf. Können Sie mir da zustimmen?“
„Ich persönlich ja. Aber es liegt nicht an mir, Untersuchungen anzuordnen oder zu beenden.“
„Das weiß ich. Aber wir beide wissen auch, daß auf dem Lande die Uhren anders gehen. Mein Gott, Sie kennen doch Ihre Sturschädel! Es muß etwas geben, das die Sache in Bewegung und zu Ende bringt.“
„Wahrscheinlich“, antwortete Polt unglücklich, stand auf und schaute dem Bürgermeister ins Gesicht. „Ich hab’s nur noch nicht herausgefunden.“
„Jetzt lassen Sie den Kopf nicht hängen. Ich wollte ja nur, daß Sie die Angelegenheit einmal von einer anderen Seite her sehen.“
„Ja. Natürlich.“
„Und noch etwas.“ Der Bürgermeister war zu seinem Schreibtisch zurückgegangen. „Wenn Sie von mir irgendeine Unterstützung brauchen: sehr gerne.“
„Danke“, sagte Polt, die beiden Männer gaben sich die Hand und der Gendarm ging zurück in seine Dienststelle.
„Was ist denn mit dir los?“ fragte sein Vorgesetzter.
„Eine moralische Tracht Prügel, ausgiebig und sehr schmerzhaft.“
„Dafür bin eigentlich ich zuständig.“
„Nicht nur du. Der Bürgermeister hat mit jedem Wort recht. Darf ich eine Stunde Ruhe haben?“
„Solange du dich nicht im Klo verkriechst und heulst.“
„Nein, ich muß nur nachdenken.“
„Dann geh in mein Büro. Da bist du halbwegs ungestört.
Simon Polt ging, schloß die Tür hinter sich ab und schaute erst einmal lange aus dem Fenster. Dann suchte er aus dem Telefonbuch die Nummer von Karin Walter, der Lehrerin, heraus. Er wählte und hatte Glück. Sie war zu Hause. „Simon Polt spricht hier.“
„Himmel. Diesen Anruf habe ich nicht erwartet.“
„Um es kurz zu machen: Ich habe eine ganz große Bitte.“
„Schon erfüllt.“
„Ich brauche einen zweiten Kopf.“
„Wollen Sie im nächsten Fasching als Janus auftreten, oder was?“
„Ach was, Fasching. Wir müssen miteinander nachdenken. Ernsthaft.“
„Dann kommen Sie am besten schleunigst zu mir. Meine Adresse wissen Sie?“
„In der Brunndorfer Hintausgasse, nicht wahr?“
„Ja, das kleine Haus mit dem Mistelgesteck an der Tür. Es weihnachtet nämlich schon sehr.“
„Wie? Ist mir noch gar nicht aufgefallen. Bis bald.“ Hastig beendete Polt seine selbstgewählte Isolation. „Ich bin bei Karin Walter, dienstlich“, sagte er, als er im Weggehen Harald Mank begegnete.
Der Dienststellenleiter stutzte. „Dienstlich? Ja dann!“
Polt brauchte erst gar nicht zu klopfen. Kaum stand er vor der Tür, wurde sie auch schon geöffnet. „Ich habe Sie durchs Küchenfenster kommen gesehen. Nur herein mit Ihnen. Möchten Sie was trinken?“
„Im Augenblick liegt mir ein ziemlich großer Stein im Magen“, sagte Polt bedrückt. Er nahm achtlos auf einer Polsterbank Platz, und Karin Walter setzte sich neben
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