Polt - die Klassiker in einem Band
„Nicht wirklich, fürchte ich. Aber woher wissen Sie …?“
„Ich habe einen ganz kleinen Weingarten, oben am Waldrand. Was ich zum Trinken brauche, gibt er her, sogar ohne Chemie. Hat sich was mit den neumodischen Bio-Bauern. Ich war schon vor sechzig Jahren einer. Keiner beachtet mich alten Spinner. Aber ich sehe von dort oben recht gut, was sich in der Kellergasse tut, und ich höre allerhand im Vorbeigehen, weil wegen mir keiner zu reden aufhört. Das war kein Unfall, mit dem Hahn, nicht wahr?“
„Warum glauben Sie das?“
„Weil es keiner gewesen sein kann.“
„Aber mehr wissen doch auch Sie nicht?“
„Wer weiß? Aber es gibt Dinge, die will ich nicht wissen. Warum sind Sie übrigens noch immer nicht verheiratet?“
„Ich?“
Der Alte schaute sich um. „Wer sonst?“
„Ach wissen Sie, mein Beruf. Außerdem, unter uns gesagt: Ich bin ziemlich schüchtern.“
„Das habe ich gemerkt, wie Sie mit der Karin Walter am Wiesbach spazierengegangen sind.“
Simon Polt lachte. „Schön langsam werden Sie mir unheimlich, Herr …“
„Anselm Stepsky. Als ich zur Welt gekommen bin, war Anselm noch ein Vorname wie alle anderen. Den Vater von Albert Hahn, den Alois, habe ich gut gekannt. Mit dem war ganz prächtig auszukommen. Er und der alte Kurzbacher wollten sogar ihre Kellerröhren miteinander verbinden.“
„Weiß ich.“
„Na also. Es ist ein Unglück, wenn es dann in der nächsten Generation so einen Unfrieden gibt.“
„Und dabei ist es wirklich ein Kunststück, mit dem Friedrich Kurzbacher Streit zu haben.“
„Aber wer mit ihm einmal wirklich übers Kreuz ist, hat auch nichts zu lachen. Sie sind doch ein Freund von ihm, nicht wahr?“
„Seit vielen Jahren.“
„Warum helfen Sie ihm dann nicht? Er ist in einer schlimmen Lage.“
„Aber das gilt für alle, deren Keller an den von Albert Hahn grenzen.“
„Nicht für den Karl Brunner. Dem braucht keiner zu helfen.“
„Weil er keinen Streit mit dem Hahn hatte?“
„Ja, vielleicht auch deswegen. Mit dem Josef Schachinger haben Sie Probleme, wie?“
Polt hatte es längst aufgegeben, überrascht zu sein. „Er meint, daß uns der Tod von Albert Hahn nichts angeht und daß wir Besseres zu tun hätten, als Unfrieden in die Gegend zu bringen.“
„Das meinen eigentlich alle.“
„Sie auch?“
„Wer hört schon auf einen alten Spinner.“
„Ich zum Beispiel.“
„Da machen Sie womöglich einen Fehler. So. Jetzt ist die Sonne hinter dem Berg. War ohnehin der letzte warme Tag, ich spür schon den Frost kommen.“
Polt wußte nicht so recht, wie er das Gespräch fortsetzen sollte. Nach einer Weile half ihm der Alte aus der Verlegenheit. „Sie werden sehen, lieber, junger Herr Inspektor: Niemand wird vor Gericht stehen. Die Sache ist viel zu kompliziert.“
„Was wissen Sie darüber?“
„Wenig genug. Und das ist mir schon zu viel. Bitte quälen Sie mich nicht.“
„Entschuldigung.“
„Ach was. Ich habe ja angefangen, darüber zu reden. Dürfen Sie das übrigens, Ihre Dienstzeit in der Kellergasse verplaudern?“
„Das kommt darauf an.“
„Auch wieder wahr. Ich gehe jetzt. Es wird kühl.“
„Ich kann Sie mit dem Auto nach Hause bringen, wenn Sie möchten. Ist zwar nicht wirklich erlaubt, aber …“
„Danke nein. So gut sind wir noch nicht miteinander.“
Simon Polt fuhr also alleine los, schaute noch einmal in den Rückspiegel und trat wenig später auf die Bremse, weil er Friedrich Kurzbacher vor dem Preßhaus stehen sah. „Grüß dich, Friedrich! Ich habe gerade mit dem Herrn Stepsky geredet.“
„Da schau her. Und was sagt der alte Spinner?“
„Daß ich dir gefälligst helfen soll.“
„Helfen? Mir? Mir kann keiner helfen.“ Der Kurzbacher lachte und seine Augen funkelten hinter den dicken Brillengläsern.
Polt ist einsam
Der folgende Tag war ein kalter, nebelgrauer Sonntag. Der Wind pfiff ungemütlich, und Polt, der dienstfrei hatte, ging eiligen Schrittes zum Kirchenwirt. Der Gottesdienst war schon vorbei. Um einen der großen Tische saßen die älteren Bauern. Als der Gendarm eintrat, verstummten ihre Gespräche. Franzgreis, der mit ihnen am Tisch gesessen war, stand auf und ging hinter die Schank. „Guten Morgen, Herr Inspektor. Was darf’s denn sein?“
„Ein kleines Bier, bitte.“
Der Wirt schob seinem Gast das gefüllte Glas hin und ging in die Küche. Polt schaute sich ein wenig um und sah zu seinem Erstaunen Bruno Bartl mit heiter verklärter Miene hinter einem halb
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