Polt - die Klassiker in einem Band
noch mit ungewohnter Hemmungslosigkeit dem Drängen der Natur nach.
Als Polt spätabends von Karin Walter zurückkam, begrüßte ihn der Kater nicht mit freundlich distanzierter Gelassenheit wie sonst. Er stieß klagende Laute aus, krümmte den Rücken und vollführte ein paar steifbeinige Quersprünge. Polt betrachtete ihn nachdenklich. „Du bist kastriert, mein Guter.“ Czernohorsky antwortete mit einem schauerlichen Schrei und sprang durch das offene Küchenfenster ins Freie. Simon Polt zündete eine Kerze an, die in einem Leuchter aus gebogenem Draht auf dem Tisch stand. Er nahm das angekohlte Zündholz und spielte mit dem kleinen Feuer, wie er es schon als Kind gerne getan hatte. Dann lehnte er sich zurück und schaute in die Nacht hinaus.
Kaum war Polt früh am Morgen im Dienst, rief ihn Harald Mank zu sich. Sein Vorgesetzter zeigte auf einen gelben Plastiksack. „Da sind Willis Sachen drin, ohne jeden Wert, wie sich denken läßt. Am ehesten werden sie wohl der Frau Raab zustehen. Sei so gut und bring das Zeug bei ihr vorbei. Übrigens kannst du Frau Raab auch gleich sagen, daß die Leiche zur Bestattung freigegeben ist.“
Polt nickte. „Was dagegen, wenn ich mich bei ihr ein wenig über den Willi erkundige?“
Harald Mank klopfte mit dem Kugelschreiber auf die Tischplatte. „Immer noch neugierig, wie? Natürlich kannst du mit ihr reden. Aber achte um Himmels willen darauf, daß kein Verhör daraus wird.“
„Liegt mir ohnehin nicht so.“ Polt machte sich gleich auf den Weg.
Antonia Raab wohnte in jenem etwas versteckten Teil von Burgheim, wo ärmere Bauern oder auch Landarbeiter kleine Häuser gebaut hatten. Viele davon waren in den letzten Jahren an Leute aus Wien verkauft worden. Angenehm ruhig war es hier, und es blieb auch Platz für kleine Vorgärten, wie sie früher bei fast allen Bauernhäusern im Ort üblich gewesen waren. Frau Raab schob eben ihr Fahrrad aus der Haustür, als sie den Gendarmen erblickte. „Grüß Sie, Herr Inspektor! Kommen Sie gar zu mir? Ich wollte gerade einkaufen fahren.“
„Mit dem Rad, in Ihrem Alter? Respekt. Aber vielleicht hat’s etwas Zeit damit. Es geht um den Willi.“
„Um den Willi, sagen Sie? Ein Unglück ist das, nicht wahr? Kommen Sie ins Haus, Inspektor.“ Frau Raab ließ das Fahrrad im Vorgarten stehen und ging voraus. In der Stube wischte sie mit ihrer altersfleckigen Hand imaginären Staub von einem Sessel. „Bitte! Sie sind doch der Herr Polt, nicht wahr?“
„Bin ich, Frau Raab.“
„Ich habe Ihre Eltern noch gekannt. Der Vater war Weinbauer in Brunndorf. Warum haben Sie den Hof eigentlich nicht übernommen?“
Polt schaute die alte Frau offen an. Sie hatte ein rundes, runzeliges Bratapfelgesicht mit wachen Augen. „Schon mein Vater konnte den Hof nur als Nebenerwerb halten, und ich wollte eigentlich nie Bauer werden. Lehrer, das wär mein Traum gewesen. Aber wer hätte die Ausbildung bezahlen sollen? Da habe ich es eben in der Gendarmerie versucht.“
„So war das also. Und was haben Sie da drin?“ Sie zeigte auf den Plastiksack.
„Sachen vom Willi. Sind vom Gericht gekommen. Die Beerdigung kann jetzt übrigens auch stattfinden.“
„Dann hat er ja bald seinen Frieden.“ Frau Raab betrachtete die zerrissenen und beschmutzten Kleidungsstücke. „Alles zum Wegwerfen.“
„Sagen Sie, Frau Raab, wie sind Sie eigentlich zu Ihrem Pflegling gekommen?“
„Der Willi ist ein Findelkind. Ist als Säugling eines Tages vor meiner Tür gelegen. Sterben hab ich ihn nicht lassen können, und haben wollte ihn auch niemand. Mir ist er übrigens gleich komisch vorgekommen, und dann hat mir der Doktor gesagt, was mit ihm los ist. Na ja, irgendwie habe ich mich an ihn gewöhnt, und gebraucht hat er ja kaum etwas. Natürlich haben sie im Ort über mich geredet. Wie kann man nur so blöd sein und sich so etwas antun?“
„Nur gut, daß es Leute wie Sie gibt, Frau Raab.“
„Ach was. Aber wer hier in Burgheim den armen Kerl in die Welt gesetzt hat, hätte ich schon immer gern gewußt. Na ja, die liegen wohl schon auf dem Friedhof draußen. Irgendeine leichtsinnige, besoffene Geschichte wird es gewesen sein, wie das halt so ist auf dem Land. Und für die Folgen geniert man sich dann.“
Polt schaute zum Fernseher hinüber. Eine gehäkelte Decke lag darauf. „Hat so etwas den Willi interessiert?“
„Wie? Was?“ Sie folgte seinem Blick. „Ach, Fernsehen meinen Sie. Nein, das war ihm zu kompliziert. Und Langeweile hat er nie gehabt.
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