Polt - die Klassiker in einem Band
Er ist einfach stundenlang irgendwo gesessen und hat vor sich hin geschaut.“
„Weiß ich.“ Simon Polt stand auf. „Danke, daß Sie für mich mit dem Einkaufen gewartet haben.“
„Warum danke? Ohne Mann und in meinem Alter ist man froh, wenn jemand dafür sorgt, daß die Zeit vergeht.“
„Dann darf ich also wiederkommen?“
Frau Raab lächelte kokett. „So ein fescher junger Gendarm!“
„Danke.“ Polt gab ihr einen lautstarken Kuß auf die runzelige Wange, ging und ließ eine alte Frau zurück, die verwirrt den Kopf schüttelte.
In der Dienststelle traf er Inspektor Holzer an, der von einem Schriftstück aufblickte. „Hallo, Simon. Ich habe hier den Bericht über den Opel Olympia von Horst Breitwieser. Recht unterhaltsam, muß ich sagen.“
„In welcher Weise?“
„Na ja, die Unfallschäden bringen nichts Neues. Aber technisch ist das Auto bemerkenswert. Eigentlich funktioniert nur noch die Hupe einwandfrei.“
„Aber der Herr Breitwieser war doch mit dem Opel recht häufig unterwegs?“
„Das ist ja das Erstaunliche. Der Motor ist auf drei statt auf vier Zylindern mehr gestolpert als gelaufen, gebremst hat nur noch das blanke Metall, und die Lenkung war fürchterlich ausgeschlagen. Zusammen mit dieser unglückseligen Öldruckfederung muß es ein Kunststück gewesen sein, das Auto überhaupt auf der Straße zu halten.“
„Wundert mich, daß sich der Breitwieser nicht darauf ausgeredet hat.“
„War vielleicht gegen seinen Ehrenkodex. Alte Herren sind da oft ziemlich eigen.“
„Ich werde mit ihm darüber reden. Sonst noch was los?“
„Nicht viel. Eine Anzeige von Frau Habesam gibt es. Ihr Fahrrad ist verschwunden.“
„Da schau ich aber. Passiert ihr ziemlich häufig in letzter Zeit.“
„Exakt sechsmal in knapp zwei Monaten.“ Holzer grinste. „Aber wir werden den Drahtesel bald wieder haben.“
„Ganz meine Meinung. Ich bin nur gespannt, wo er diesmal liegt, oder hängt. Die ersten Fundorte waren eine Baumkrone und ein Preßhausdach, nicht wahr? Dann haben wir das Rad auf dem Friedhof entdeckt, und zwar in einem frisch ausgehobenen Grab. Wirklich originell.“
Holzer nickte. „Später ist es dann im Wiesbach gelegen, und erst vor kurzem haben wir es aus der Burgheimer Kläranlage gefischt. Ziemlich anrüchige Sache.“
„Na ja, die liebe Frau Habesam hat ja nicht nur Freunde. Wenn da ein paar im Weinkeller zusammenhocken, kann schon was dabei herauskommen.“
„Und wir haben die Arbeit.“
„Du sagst es.“ Polt schlug mit der flachen Hand auf einen dicken Stapel Papier. „Gehört alles mir. Zum Teufel damit.“
Nach Dienstschluß zog es Polt in die Burgheimer Kellergasse, weil er sich bewegen wollte nach all der Schreibtischarbeit. Als er Karl Gapmayrs Preßhaustür offenstehen sah, warf er einen neugierigen Blick hinein. Der Weinbauer hörte ihn kommen und drehte sich um. „Grüß Gott, Herr Inspektor. Kommen Sie nur herein. Jedesmal wenn ich hier bin, frage ich mich, ob ich das Preßhaus und den Keller nicht besser verkaufen sollte. So etwas ist von gestern. In einer klimatisierten Halle hätte ich die Sache besser im Griff.“
„Wär aber schade um alles.“
„Na ja, vielleicht bleibe ich auch dabei. Lagerraum kann man ja immer brauchen. Trinken wir schnell einmal?“
„Gern. Ich war noch nie in Ihrem Keller, der würde mich schon interessieren.“
„Dann kommen Sie. Es ist glatt betoniert. Sie können nicht stolpern.“
Als sie unten angelangt waren, schaute sich Polt staunend um. Der Höllenbauer-Keller war beachtlich groß, aber dieser hier übertraf ihn bei weitem. Außerdem war auf den ersten Blick kein System in der Anlage zu erkennen. Wie die Gassen einer Altstadt trafen die Kellerröhren in schrägen Winkeln aufeinander und schufen kleine Plätze.
„Weiß oder rot?“ fragte der Gapmayr. „Ich tu mir das Theater nicht an. Bei mir macht’s die Menge. Lesemaschine, hydraulische Presse, große Tanks.“ Er goß zwei Gläser voll, trank, noch bevor Polt gekostet hatte, und stellte das halbleere Glas beiseite. „Ein sauberer, neutraler Grüner. Soll ihn der Händler richten, wie er mag. Und Sie, Inspektor? War ein Pech, das mit dem Willi, nicht wahr? Mein Freund war er nie. Aber getan hat er mir auch nichts. Na ja. Erledigt.“
Polt trank einen Schluck und mußte sich widerwillig eingestehen, daß am Wein nichts auszusetzen war. „Ihnen gehört doch die Riede todter Hengst?“ fragte er beiläufig. „Woher kommt der Name
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