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Polt muss weinen

Polt muss weinen

Titel: Polt muss weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Komarek
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ich noch in Ruhe ein Glas Wein trinken.«
    Der Gendarm war für Sekunden sprachlos, dann antwortete er mit belegter Stimme: »Ja, warum nicht. Gute Idee.«
    »Nun denn, prost, Herr Ordnungshüter«, sagte Karin heiter, und als die gefüllten Gläser aneinanderstießen, war es für Polt, als sei für einen Triangelspieler nach sieben Ewigkeiten endlich der ersehnte Augenblick gekommen, in dem er sein Instrument erklingen lassen durfte.
    »Nicht bös sein, daß ich mich einfach so aufdränge«, fuhr die Lehrerin fort, »vielleicht wollen Sie lieber allein sein?«
    Polt schüttelte stumm den Kopf und suchte darin verzweifelt nach einer originellen Bemerkung, die natürlich auch geistreich sein sollte, warmherzig, humorvoll und schlicht. Verstohlen musterte er sein Gegenüber: Fräulein Walter war nicht wirklich hübsch und für Polts Begriffe viel zu dünn. Aber er fand sie trotzdem unbeschreiblich interessant, weiß der Teufel warum. Sie schaute Polt mit ihren hellen Augen freundlich an - er konnte nicht sagen, welche Farbe sie wirklich hatten - , fing seinen Blick auf und gab ihn zurück.
    Rasch widmete sich der Gendarm seinem Glas. »Ich habe dienstfrei«, sagte er, als er sich einigermaßen wiedergefunden hatte, »bin aber zu müde, um schlafen zu gehen.«
    »Logisch!« Sie lachte. Dann tranken sie ihre Gläser leer. »Gehen Sie auch schon? Ich habe mir schon immer gewünscht, ein Lokal in Polizeibegleitung zu verlassen!«
    Polt, der sie um keinen Preis der Welt unbegleitet hätte gehen lassen, nickte wieder einmal stumm, aber beredt, und wenig später spazierten die beiden nebeneinander durch das Dorf. »Gehen wir ein paar Schritte zum Wiesbach hinunter? Ich muß mir ohnehin die Zeit bis Mittag vertreiben.«
    »Ja, warum nicht. Gute Idee«, wiederholte sich Polt und hätte sich dafür ohrfeigen können.
    Die zwei bogen also in eine Nebenstraße ab, welche die Geleise der stillgelegten Lokalbahn überquerte und zum Wiesbach führte, dessen rechtes Ufer ein schmaler Fußweg begleitete. Es war einer jener frühen Herbsttage, an denen das Blau des Himmels hell und klar war, aber noch nicht aus sprödem Glas, wie später im Jahr. Noch hielten die Bäume ihr buntes Laub fest, und die Luft schmeckte nach Reife und Fruchtbarkeit. Eine anmutige, hellblau bemalte Madonna schaute von ihrer runden Säule über den Wiesbach, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, eine verwirrend schöne und verführerisch sinnliche Gottesmutter zu sein.
    »Wunderhübsch ist es hier«, sagte die Lehrerin mit einem Seufzer. »Ich mag das Dorf. Das Schlimme ist nur: Es gibt immer weniger Kinder, Jahr für Jahr.«
    »Als ich ein Kind war«, wußte Polt endlich etwas zu erzählen, »hat es noch drei Kaufhäuser gegeben, das Gasthaus Marti war noch offen, ein Schuster hat sein Auskommen gefunden und auch noch ein Friseur. Es gibt einfach zu wenig Arbeitsplätze in der ganzen Gegend. Die Leute ziehen weg, und die paar Gewerbetreibenden kommen nicht mehr auf ihre Rechnung.«
    »Immerhin ist jetzt die Grenze offen, das bringt wieder Leben in die Gegend, nicht wahr?«
    Polt machte eine unwillige Handbewegung. »Leben und Feindseligkeiten. Die Leute hier mögen ihre Nachbarn von drüben nicht. Es hat auf beiden Seiten viel Unrecht gegeben, im Krieg und nachher.«
    »Wem sagen Sie das. Aber eine Generation später schaut die Sache schon ganz anders aus.«
    »Hoffentlich.«
    Fräulein Walter bückte sich, rupfte ein Blatt ab und hielt es ihrem Begleiter unter die Nase: »Sauerampfer! Für den ist die Unkrautwiese zwischen Wegrand und Bach gerade richtig.« Dann wechselte sie plötzlich das Thema. »Haben Sie den Albert Hahn gut gekannt?«
    »Nur zu gut«, brummte Polt.
    Sie schob das Sauerampferblatt in den Mund, kaute und schluckte. »Er war ein hochkarätiges Scheusal, nach allem, was ich so höre. Komisch, daß ausgerechnet so einer eines natürlichen Todes stirbt. Aber - einmal ganz abgesehen davon - war an seinem Plan mit dem Freizeitpark in der Kellergasse nicht vielleicht doch etwas dran? Ich meine: Leute, die ein wenig mehr Leben und Geld in unsere Gegend bringen, könnten wir doch brauchen, oder?«
    Simon Polt registrierte in diesem Augenblick verstört, daß Fräulein Walter in ihm durchaus auch mürrische Ablehnung hervorrufen konnte. Schon wollte er zu einer heftigen Entgegnung ansetzen, als er daran dachte, daß Preßhäuser und Keller für die Frauen im Dorf eine weitgehend fremde Welt waren, zu der sie wenig Beziehung hatten -

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