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Polt muss weinen

Polt muss weinen

Titel: Polt muss weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Komarek
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Gestak zu sehen, die Polt nur zu gut vertraut war: Aloisia Habesam, die sich ihr Schicksal als Witwe seit vielen Jahren damit versüßte, von jedem im Dorf alles zu wissen. Seit dem Ableben ihres in keiner Weise bemerkenswerten Mannes führte sie das »Kaufhaus Habesam« weiter: einen kleinen, mit Waren vollgestopften Raum, in dem es verführerisch und verwirrend nach Schmierseife, Schokobananen und Bohnerwachs roch, nach Knoblauchwurst und Mottenkugeln. Nur Frau Habesam kannte die geheimnisvollen Gesetze, denen das Chaos ihres Warenlagers folgte, und ihr insistierendes Interesse an jedem, der zur Tür hereinkam, sorgte zusätzlich dafür, daß sie sich auch im Dorf und darüber hinaus auskannte wie niemand sonst. Inspektor Polt erinnerte sich daran, wie er neulich bei Frau Habesam Extrawurst gekauft hatte. »Ja, Herr Inspektor«, hatte sie geseufzt, während sie die Schneidemaschine mit dem gründlichen Ernst eines Scharfrichters bediente, »man braucht eben nicht viel, so allein, nicht wahr?« Dann flog unvermutet ein dunkler Elsternblick zu Polt hoch: »Oder brauchen Sie vielleicht mehr?«
    Vor dem Altar wandte sich nun der Priester den Trauergästen zu. Solange er sich an Worte hielt, die ihm die Liturgie vorschrieb, konnte er sich mit gottesfürchtiger Routine helfen. Als er jedoch in der Predigt seinen eigenen Gedanken Ausdruck geben sollte, kam er dann doch ein wenig in Verlegenheit. Er gehörte nämlich zu jenen Gottesmännern, die sich die Mühe machen, die Dinge zwar liebevoll, aber deutlich beim Namen zu nennen, statt salbungsvoll um sie herumzureden. Diesmal beschloß er, die Wahrheit immerhin ein wenig allgemeiner zu fassen, sprach von den kleinen und den großen Fehlern, die wohl jeder Mensch habe, von der Liebe Gottes, die mächtiger sei als jede Sünde, und von einer Gerechtigkeit jenseits menschlicher Maßstäbe. »Ich bin froh«, sagte er abschließend, »daß ich nicht mehr bin als ein kleiner Gehilfe des großen Richters und daß meine Kompetenzen nur geliehen sind. Jeder von uns sollte sich glücklich schätzen, nicht letzte und alles entscheidende Urteile fällen zu müssen.«
    »Recht hat er«, dachte Simon Polt, und einmal mehr konnte er den Pfarrer sehr gut leiden.
    Nach dem Gottesdienst wurden die Flügel der Kirchentür weit geöffnet. Polt spürte, wie die Mittagshitze hereindrang, vermischt mit Straßengeräuschen und Vogelgezwitscher. Ein grauer, sanfter Tag wäre ihm lieber gewesen als dieses helle, alles entblößende Licht, diese aufdringliche Hitze. Als sich der kleine Trauerzug hinter den Sarg reihte, sah der Gendarm, daß Swoboda und Dipl.-Ing. Pahlen betrunken waren, nicht sehr, aber merklich.
    Der Weg zum Friedhof führte erst durch das halbe Dorf, dann wandte er sich der Kellergasse zu, und noch bevor die ersten Preßhäuser erreicht waren, zweigte ein schmäleres Asphaltband nach links ab. Es währte an die zwanzig stille Minuten, bis das Ziel erreicht war: Niemand hatte die Dorfmusik gebeten, an der Trauerfeier mitzuwirken. Nur Aloisias gedämpfte, doch immer noch ein wenig schrille Stimme war zu vernehmen, als sie Simon Polt einem ausführlichen, wenn auch weitgehend ergebnislosen Verhör unterzog.
    Am offenen Grab angelangt, begann der Priester mit vertrauten Worten und Gebärden, Albert Hahns sterbliche Hülle der Erde und seine Seele dem Schöpfer zu übergeben. Frau Hahn stand regungslos am Grab, und nur ihre Hände wanderten unruhig über den Stoff des schwarzen Kleides. Die alte Frau neben ihr hielt den Griff einer großen Handtasche fest umklammert und wandte ihr Gesicht offen dem Pfarrer zu: Sie stand da, wie ein Mensch, der entschlossen ist, etwas, das getan werden mußte, mit Anstand hinter sich zu bringen. Swoboda und Dipl.-Ing. Pahlen waren sichtlich bemüht, Haltung zu bewahren, während Kurzbacher und Brunner wenig Interesse an der Zeremonie zeigten und flüsternd irgend etwas beredeten.
    Endlich sprach der Priester letzte Worte, und der Sarg senkte sich in die Grube. Frau Hahn trat hinzu, nahm die kleine Schaufel, die ihr gereicht wurde, und ließ langsam Erde auf den Sarg fallen. Dann geschah etwas Seltsames: Statt die Schaufel weiterzureichen, nahm sie noch einmal Erde, um sie diesmal mit einer fast wütenden Handbewegung ins Grab zu werfen. Dann wurde sie von einem der Sargträger weitergeschoben, nach und nach nahmen alle Abschied und drückten Frau Hahn ihr Mitgefühl aus. Swoboda, sachte schwankend, ergriff sie sogar an den Armen und wollte sie tröstend

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