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Polt muss weinen

Polt muss weinen

Titel: Polt muss weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Komarek
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begann, ohne eine Antwort abzuwarten, wieder zu essen.
     
    Der Tag mit den Schmetterlingsflügeln
     
    Polt hatte einen anstrengenden Nachtdienst hinter sich und war herrlich müde. Er mochte diese Art wunschloser Müdigkeit, in die man sich hineinfallen lassen konnte wie in ein weiches Federbett. Eigentlich, kam es ihm in den Sinn, wäre es pure Verschwendung, diese Stimmung einfach zu verschlafen. Also holte er sein Fahrrad hervor und bog, ohne ein besonderes Ziel zu haben, in den nächstbesten Feldweg ein, ließ sich, beiläufig in die Pedale tretend, zwischen Weingärten und Feldern treiben und nahm endlich doch Kurs auf Brunndorf, weil er wußte, daß Martin Stelzer sein Wirtshaus schon ziemlich früh aufsperrte.
    Kaum hatte er die Ortseinfahrt erreicht, lief ihm Cäsar entgegen, Stelzers Hund: klein, schwarz, von liebenswürdigem Wesen und ein unverbesserlicher Streuner. Polt bremste, klemmte sich das struppige Tier unter den rechten Arm und setzte seinen Weg zu Fuß fort. Wenig später schob er sein Fahrrad durch das große Tor, das in den Garten führte, lehnte es an die honiggelb lackierte Holzverkleidung der Mauer, gab Cäsar bei der Wirtin ab und betrat die Gaststube. Aus der Küche drang schon der Geruch von Suppe und Selchfleisch, am Ecktisch saß jener Bauer, der immer hier saß, und an der Schänk lehnte Christian Wolfinger, der Jäger. Polt stellte sich neben ihn, bestellte einen kleinen Braunen und sah, daß der kühne Waidmann an einem Glas Mineralwasser nippte. »Schwerer Abend, gestern?« fragte er teilnahmsvoll.
    »Das kann man wohl sagen«, nickte Wolfinger. »Wenn sich ein paar Weinbauern im Keller festtrinken, ist das schon schlimm genug, aber wenn sie auch noch Jäger sind, ist alles zu spät. Na ja, Gott sei Dank ist heute Sonntag.«
    »Und warum tust du nicht Buße und gehst zur heiligen Messe?«
    »Weil ein Kater und der Kirchenchor zusammen mehr sind, als auch ein tapferer Mensch aushält!« Wolfinger betrachtete angewidert das Mineralwasser.
    Die Tür ging auf, eine ältere Bäuerin kam herein, legte wortlos einen Plastikbeutel mit Paradeisern auf den Tisch und ging wieder. Wenig später kamen die ersten Kirchenbesucher, das Wirtshaus füllte sich zusehends, und Martin Stelzer legte feierlich ein frisches Paket Spielkarten auf den Stammtisch der Senioren.
    Wie zufällig schaute Polt auf die Uhr: Es war knapp vor zehn - ja, und um zehn pflegten die ehrenwerten Funktionäre des hiesigen Sparvereins zu amtieren. Bei der letzten Generalversammlung hatte eine vieldiskutierte Revolution stattgefunden: Erstmals war das Amt des Kassiers mit einer Frau, der jungen Dorflehrerin, besetzt worden. Nicht genug, daß der Wirt als Obmann, Quartiergeber und Verantwortlicher für das alljährliche Schnitzel eine bedenkliche Fülle an Funktionen in sich vereinigte und daß der Präsident, persönlich von untadeliger Integrität, mit einem Sohn behaftet war, der offensichtlich nicht mit dem Taschengeld umgehen konnte - jetzt fiel auch noch eine verantwortungsvolle Schlüsselposition keinem gestandenen Ehrenmann, sondern einem zierlichen Fräulein zu. Das könne man zwar angesichts neuerer Tendenzen vielleicht sogar begrüßen, hatte jener angemerkt, der gerne selbst Kassier geworden wäre, doch irgendwie - und das sehe doch jeder, der Augen im Kopf habe - fehle es einem solchen Geschöpf an Würde und Gewicht.
    Simon Polt war ganz und gar nicht dieser Meinung. Seine keusche Zuneigung, die er Karin Walter entgegenbrachte, wurde nur noch vom Respekt vor dieser pädagogisch wertvollen Persönlichkeit übertroffen. Da kam sie auch schon, gemeinsam mit ihrem Stellvertreter. Die beiden nahmen am angestammten Tisch Platz, Fräulein Walter öffnete die Kasse, ihr Nachbar das Kassenbuch, und schon konnten die Amtsgeschäfte ihren Lauf nehmen. Polt, der eben ein Achtel Grünen Veltliner bestellen hatte wollen, fand das plötzlich eher unpassend und bat um einen zweiten Kaffee. Nach und nach traten die Sparer an den Tisch. Jene, die kleinere Summen einzahlten, taten dies unauffällig und rasch, andere, die mehr zur Seite legen konnten, warteten meist ein wenig zu, bis sie sich ihres Publikums sicher waren.
    Gegen elf Uhr wurden Buch und Kasse geschlossen, und die beiden Funktionäre verließen das Wirtshaus. Es dauerte aber keine zehn Minuten, da war Karin Walter schon wieder da, stellte sich neben Polt an die Schänk und sagte: »Hallo, Herr Inspektor! Ich habe nur das Geld in Sicherheit gebracht, und jetzt möchte

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