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Polt muss weinen

Polt muss weinen

Titel: Polt muss weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Komarek
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an sich ziehen. Frau Hahn allerdings entzog sich dieser Geste so heftig, daß er einige unverständliche Worte murmelte und sich beeilte, fortzukommen. Dipl.-Ing. Pahlen, der nunmehr völlig nüchtern wirkte, nahm ihre schlaffe Hand, beugte sich ein wenig vor und sagte: »Was immer ich für Sie tun kann…« Dann waren Kurzbacher und Brunner an der Reihe, die sichtlich verlegen waren, und endlich stand Simon Polt vor der Witwe und wollte die Hand ausstrecken. »Sie nicht auch noch!« hörte er da Grete Hahn leise sagen. Polt hob ein wenig ratlos die Schultern und wollte schon gehen, als sie, nunmehr laut genug, daß es alle hören konnten, hinzufügte: »Kommen Sie doch bitte mit ins Wirtshaus, zum Essen. Es kann nicht schaden, nicht wahr?«
    Im Gasthaus Stelzer war die Tafel im kleinen Saal schon gedeckt. Hier feierte der Kameradschaftsbund seinen jährlichen Ball, die Senioren des Dorfes versammelten sich zu ihrem Kränzchen, der Sparverein schüttete in der Vorweihnachtszeit sein bescheidenes Füllhorn aus, und der Sportclub von Brunndorf beging seine Generalversammlung mit diskreten Machtkämpfen, gnadenlosen Analysen, feurigen Appellen und den Beschwörungen glänzender Perspektiven.
    Die kleine Schar der Trauergäste wirkte schrecklich verloren, obwohl der Saal gar nicht so groß war und eine freundliche Atmosphäre hatte. Doch diese dunkel gekleideten Menschen brachten nicht jene Trauer mit, die üblicherweise solche Gastmähler begleitet und die Trost in liebevoller oder auch nur sentimentaler Erinnerung fand. Ein wenig schien es Polt so, als würden sogar in dieser kleinen Versammlung noch kleinere Gruppen einander argwöhnisch belauern: die Familie Hahn, Swoboda mit seiner Frau und Pahlen, die beiden Weinbauern. Es war ihm etwas peinlich, als beamteter Zaungast noch mehr Spannung und Widersprüchlichkeit hineinzutragen. Andererseits war er auf eine ihm selbst nicht begreifliche Weise fasziniert. Gab es hier irgend jemanden, der trauerte? Swoboda und Pahlen wirkten allenfalls verunsichert. Frau Hahn umsorgte respektvoll und freundlich die alte Frau neben sich und nahm den Rest der Trauergesellschaft kaum zur Kenntnis. Kurzbacher und Brunner vermieden es offensichtlich, mit den anderen zu reden, und hatten einander wie zwei Verschwörer die Köpfe zugeneigt.
    Die Suppe wurde aufgetragen, Wein, Bier und Mineralwasser kamen auf den Tisch. Plötzlich ergriff Swoboda ein Messer, klopfte an sein Glas und wollte sich erheben, offensichtlich, um eine Tischrede zu halten. Im nächsten Augenblick saß er schon wieder, von seiner Frau energisch am Aufstehen gehindert. »Trottel!« hörte sie Polt sagen. Swoboda reagierte darauf nicht, sondern griff mit resignierender Gebärde zum Weinglas. Dipl.-Ing. Pahlen, der neben Inspektor Polt saß, trank hingegen einen Schluck Mineralwasser und neigte sich mit einem entschuldigenden Lächeln seinem Sitznachbarn zu: »Der begnadete Zeitungsmann Swoboda ist ein ziemlich peinlicher Clown, nicht wahr? Im Weinkeller recht unterhaltsam, aber doch nicht bei solchen Anlässen.«
    Simon Polt, der gerne ein kleines Gespräch mit Pahlen geführt hätte, wurde vom Wirt unterbrochen, der damit begann, nach der Suppe Schweinsbraten und Schnitzel aufzutragen. Offensichtlich war jeder froh, sich mit dem Essen beschäftigen zu können, ohne eine Rolle spielen zu müssen oder anderen dabei zuzuschauen. Allmählich löste sich die Spannung sogar ein wenig, die über der Tischrunde gelastet hatte. Doch dann öffnete sich die Tür, und ausgerechnet Bruno Bartl betrat den Raum. Niemand, der seine fast schon unterwürfige Höflichkeit kannte, hätte ihm zugetraut, daß er eine Trauergesellschaft störte, und dazu kam etwas noch viel Erstaunlicheres: Bartl war ganz offensichtlich stocknüchtern und zu allem Überfluß einigermaßen gewaschen und rasiert. »Ich wollte nur rasch vorbeischauen, weil ich ja auch sonst manchmal dabei war«, sagte er, als wäre damit alles gesagt.
    Eine eigentümliche Stille folgte diesen Worten. Kurzbacher und Brunner schauten einander kopfschüttelnd an, Swoboda und Pahlen waren merklich blaß geworden, und Frau Hahn hatte plötzlich ein kleines boshaftes Lächeln um die Mundwinkel.
    »Na, dann. Ich bitte um Vergebung, es soll nicht wieder vorkommen«, sagte Bartl gespreizt und mit blankem Hohn in seiner Stimme. Dann verließ er ruhigen Schrittes den Raum.
    »Dieses Stück Dreck«, sagte Swoboda.
    »Das sagst du?« entgegnete Frau Hahn eher verwundert als vorwurfsvoll und

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